Eine populäre Stockalper-Biographie

Wer war Kaspar Stockalper wirklich? Eine aktuelle Biographie bringt Licht ins Dunkel.
(Fotos: Kurt Schnidrig)

Jahrelang sind wir alle am Stockalperschloss vorbei hinauf zum Kollegium auf den Briger Bildungshügel marschiert. Viel an Allgemeinbildung hat man uns da oben mitgegeben. Nur hat der Oberwalliser Jugend nie jemand Genaueres über den Palast am Wege vermittelt, dessen Erbauer ein Leben führte, das Stoff böte für ein grandioses Theaterstück. Zum Glück hat nun Dr. Helmut Stalder, Journalist bei der Neuen Zürcher Zeitung, getan, was wir Walliser Autoren längst hätten tun müssen: Eine aktuelle Biographie schreiben über eine zwiespältige Persönlichkeit, die das Wallis seit dem 17. Jahrhundert geprägt hat. Helmut Stalder und die Stiftung Stockalperschloss luden zu einer hoch spannenden Buchtaufe ins Schloss ein.

Raffgier, Macht und Hinterlist. Wer ist der älteste Walliser? Der Neid. Die Raffgier. Die Hinterlist. Dies besagt bei uns zumindest eine Redensart. Spätestens seit Helmut Stalders aktualisierter und spektakulärer Biographie haben Neid, Raffgier und Hinterlist einen Namen: Kaspar Stockalper – „Der Günstling“. Unglaublich! Um 1635 hatte Stockalper am Simplon ein europaweites Handelsimperium aufgebaut, das weltweit seinesgleichen suchte. Dies bedingte auch viel politisches Kalkül, aber auch Raffgier, Intrigen und brutale Rücksichtslosigkeit. So ist denn Stalders Biographie über Stockalper auch die Geschichte von Reichtum und Macht, aber auch vom tiefen Fall des bis heute idealisierten Kaspar Stockalper, dessen Leben der Autor in seinem Buch spannend in Szene setzt.

Marie-Claude Schöpfer, Direktorin des Forschungsinstituts zur Geschichte des Alpenraums, durchforschte 17’000 Dokumente.

Unmengen von Material. Selbstverständlich existiert über Kaspar Stockalper eine Unmenge an Material. Das zu sichten, schaffte selbst ein historischer Autor wie Dr. Stalder nicht. Dazu brauchte es eine der besten Kennerinnen unserer Vorgeschichte. Marie-Claude Schöpfer, Direktorin des Forschungsinstituts zur Geschichte des Alpenraums, war dem Autor behilflich. „Der Günstling“ basiere auf über 17’000 Dokumenten, war von Marie-Claude Schöpfer zu erfahren. Weiter habe die Stockalper-Bibliothek die Fakten geliefert, und den Handels- und Rechnungsbüchern Stockalpers habe sich viel Spannendes entnehmen lassen. Das Verdienst Helmut Stalders bestehe nun darin, aus so vielen Materialien eine erzählende Darstellung verfasst zu haben.

Ein zwiespältiger Charakter. Was war dieser Kaspar Stockalper für ein Mensch? 1629 hat er damit begonnen, die Geschichte Brigs und des Wallis aufzumischen. Von Stockalper als Zwanzigjährigem existieren nur idealisierte Bilder. Er erscheint auf Gemälden häufig als sportlicher Jüngling mit gelocktem Haar und hoch zu Pferd. Viel zur zauberhaften Imagination Stockalpers hat der Maler Fabrizio de Fabritiis beigetragen. Schon bald hat es Stockalper verstanden, aus Katastrophen, wie etwa aus dem Dreissigjährigen Krieg, gehörig Profit zu schlagen. Die Verzahnung von politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten ermöglichte es ihm, absolutistische Züge anzunehmen. Er stieg auf zu einem kapitalistischen Unternehmer und zu einem machiavellischen Regenten. Im Wallis betrieb er eine Klientelwirtschaft. Wer ihm zu Diensten war, konnte es zu Ansehen und Reichtum bringen.

Helmut Stalders Buch „Der Günstling“ enthüllt auch Stockalpers dunkle Seiten.

Religiös motiviertes Gewinnstreben. Zur Anhäufung von Reichtum fühlte sich Kaspar Stockalper religiös motiviert. Der unermessliche Reichtum war für ihn Ausdruck dafür, dass er in der Gunst Gottes stand. „Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen“, zitierte der Autor aus seinem Buch. Nicht zuletzt ist auch der Stockalperpalast in Brig ein Ausdruck und Ergebnis dieses Gewinnstrebens. Auf rund 25’000 Quadratmetern breitet sich die prunkvolle Anlage aus. Der Arkadenhof diente einzig zu Repräsentations-Zwecken. Durch die drei Türme sollte Gott die Gunst herunterschicken. Sie heissen Kaspar, Melchior und Balthasar. So wie die Weisen aus dem Morgenland das Christkind beschenkten, so sollte ihm Gott seine Gunst erweisen.

Ein Ende mit Schrecken. Das absolutistische Gehabe Stockalpers fand ein abruptes Ende, als sich seine Klientel von ihm abwandte um selber an die „Futtertröge“ zu gelangen. Als seine ehemals Begünstigten selber nach Alleinherrschaft strebten, nahte ein Ende mit Schrecken. Kaspar Stockalper kam in Arrest. Eine Lawine von Zivilprozessen rollte auf ihn zu. Da setzte sich Stockalper nach Domodossola ab. In Italien genoss er die Protektion des Mailänder Hofes, wo er dann auch ins Exil ging. Im Alter erst kehrte er heimlich wieder nach Brig ins Schloss zurück, hielt sich aber wohlweislich von jeglicher politischer Tätigkeit fern. 1691 starb er 82-jährig.

Autor Helmut Stalder und Direktorin Marie-Claude Schöpfer stellten sich im Podium den vielen Fragen eines interessierten Publikums.

Aufstieg und Fall – was bleibt? Was uns Kaspar Stockalpers Leben lehrt, ist das Folgende: Die Sehnsucht des Menschen nach Helden und nach Heroen geht wie ein roter Faden durch die Geschichte. Diese Sehnsucht erst ist es, die Machtmenschen wie Stockalper den Aufstieg ermöglicht. Doch meistens folgt der katastrophale Abstieg unverzüglich. Die ehemals Begünstigten, die früheren Freunde und Mitkämpfer, wechseln früher oder später die Seiten und besorgen das Zurückstufen auf ein Mittelmass. Autor Helmut Stalder bringt auf den Punkt, was Sache ist: „Wenn einer den Kopf emporstreckt, wird er um den Kopf kürzer gemacht.“

Text und Fotos: Kurt Schnidrig