Literaturpreis? Nein, danke.

Wann ist ein Text literaturpreiswürdig? Schiller-Denkmal in Frankfurt.
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Sind Sie polarisierend? Sind Sie zornig, undiplomatisch und asozial? Sind Sie politisch ganz rechts oder ganz links positioniert? Ecken Sie möglichst überall an? Haben Sie ein paar handfeste Skandale vorzuweisen? Haben Sie vielleicht sogar früher einmal, aber bitte vor langer Zeit, mindestens ein dünnes Büchlein geschrieben? Und vor allem: Lehnen Sie Literaturpreise in der heutigen Form grundsätzlich ab? Dann ist zu befürchten, dass Sie demnächst einen dieser Literaturpreise entgegennehmen müssen.

Heikle Ehrungen. Vergangene Woche wurden gleich zwei Literatur-Nobelpreise vergeben. Die Schwedische Akademie in Stockholm ist dafür zuständig. Selber hat sie sich allerdings ins Gespräch gebracht nicht mit Literatur, sondern mit handfesten Skandalen, die immerhin Stoff böten für Trivialliteratur, für einen Hardcore-Thriller zum Beispiel: Sexuelle Übergriffe, Belästigung, betrügerisches Geschäftsgebaren, unlauterer Wettbewerb. Hervorgeholt aus einer tiefen Versenkung hat die Schwedische Akademie nun den Österreicher Peter Handke. Warum? Mit seiner Arbeit habe der 76-Jährige „mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht“, erklärte die Akademie. Erklärt? Nein, erklärt ist damit rein gar nichts. Was bitte dürfen wir uns unter „Erforschung der Peripherie und der Spezifität der menschlichen Erfahrung“ vorstellen? In jedem germanistischen Seminar würde eine solche Aussage in den Papierkorb wandern, weil es sich dabei um eine Behauptung handelt, der jeder Unterbau fehlt. Zumindest müssten da 2-3 Zitate aus dem Werk des Schriftstellers her. Oder bitteschön wenigstens ein Hinweis auf eines der Büchlein Handkes, in dem er die Peripherie und Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht. Unter uns: Handelt es sich bei „Peripherie“ und „Spezifität“ nicht sogar um einen Widerspruch? Oft wird der Ausdruck „peripher“ einfach verwendet, um eine Sache randständig darzustellen, beispielsweise „…es trifft einen nur peripher“, das widerspricht dann aber dem Begriff „Spezifität“, der ja genau das Gegenteil aussagt. Ja was jetzt? Vielleicht nicht zu viel darüber nachdenken. Die Medien in aller Welt habens zitiert, wohl niemand hats verstanden. Einen Literaturpreis für denjenigen, der diese sprachliche Verirrung dann bitteschön auch noch am Werk von Peter Handke festmachen kann. Übrigens haben die Schwedischen Königsmacher noch einen zweiten nachgeholten Nobelpreis für das Jahr 2018 vergeben, weil man letztes Jahr nicht konnte, sexuell bedingt. Die Glückliche ist übrigens die 57-jährige Tokarczuk, es soll sich dabei um eine Polin handeln. Im Jahr 2014 soll sie sogar geschrieben haben, und zwar ein Buch. Es heisst „Ksiegi Jakubowe“. Aha.

Handke wollte den Nobelpreis abschaffen. Weil er das nicht geschafft hat, muss er nun am 10. Dezember nach Stockholm reisen, mitten im Winter, wo es doch da oben bitterkalt ist, und das alles wegen einem Preisgeld von neun Millionen schwedischen Kronen (rund 830’000 Euro). Dann wird ihm, dem Literaturpreis-Verweigerer, zur Strafe die Nobelmedaille umgehängt, und auch eine Urkunde wird ihm ausgehändigt, damit er was zu lesen hat, und damit er es schwarz auf weiss hat, was so ein Literaturpreis kann und ist. Übrigens hat sich mittlerweile bereits eine breite Front gebildet, die dem Peter Handke helfen möchte, sich vom Joch dieses ungeliebten Preises zu befreien. Was nun aber hat Peter Handke gegen den Nobelpreis für Literatur? Im Herbst 2014 gab Handke der österreichischen Nachrichtenagentur ein Interview. Darin lehnte er den Literaturnobelpreis mit seiner „falschen Kanonisierung“ ab. Punkt. Alles klar? Falsche Kanonisierung. Immer diese Kanonisierung, da haben wir Verständnis. Aber trotzdem sauber recherchiert: „Kanonisierung“ lässt sich herleiten vom Griechischen „Stange, Messstab, Richtschnur“, daraus lat. canon, „Massstab, festgesetzte Ordnung“, bedeutet allgemein die Übernahme autoritativer Schriften in den Lehrplan einer Wissenschaftsrichtung, zurückgehend auf die alexandrinischen Literaturwissenschaftler, die ihre Zusammenstellungen mustergültiger Autoren und Werke als canones bezeichneten. Nur so viel, geehrter Peter Handke: Eine Übernahme autoritativer Schriften ist bei der Schwedischen Akademie bei der Vergabe des Preises mit Sicherheit nicht festzustellen. Wie sonst kämen Sie bei denen in die Kränze? Oder Ihre Kollegin, die Tokarczuk?

Schützenhilfe für Peter Handke. Die Hassliebe zu Peter Handke nährt sich aus seiner Haltung im Jugoslawienkrieg. Mit seiner Parteinahme für Serbien setzte er sich weltweiter Kritik aus. Er verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede. Trotz Handkes zweifelhafter politischer Haltung in diesem Krieg, sollte aber sein literarisches Werk losgelöst davon beurteilt werden. Er verdient literarische „Schützenhilfe“ um im kriegerischen Jargon zu bleiben. Als Handke sein wohl bestes Werk veröffentlichte, im Jahr 1970, da waren wir alle noch Schüler im Gymnasium. Sein Krimi „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ wurde damals von Wim Wenders verfilmt und machte den Schriftsteller zumindest im deutschsprachigen Raum bekannt. Zwei Jahre später, 1972, gelang ihm mit der Liebesgeschichte „Der kurze Brief zum langen Abschied“ nochmals ein Text, der Aufsehen erregte. Und dann waren da noch Bücher wie „Das Gewicht der Welt“ und „Langsame Heimkehr“, die aber an die grossen (Kino-)Erfolge des Jahres 1970 nicht mehr anknüpfen konnten. In den 1980er-Jahren tauchte Handke vollends ab. Statt selber zu schreiben, verlegte er sich aufs Übersetzen. In den vergangenen Jahren entdeckte er seine Vorliebe fürs Zeichnen. „Zeichnen kommt mir gesünder vor als Schreiben. Im Schreiben weiss ich nicht, wohin mich das führt“, sagte Handke in einem Interview mit dem BR. Trotzdem er rechtzeitig aufs Zeichnen umgestiegen war, erreicht ihn nun der strafende Arm des Literatur-Nobelpreises, der grössten und wichtigsten Auszeichnung weltweit für Literatur.

Literaturpreise? Nein, danke. Die Liste der Verweigerer von Literaturpreisen ist lang. Der französische Autor Jean-Paul Sartre wollte ihn nicht, der grosse russische Schriftsteller Boris Pasternak („Doktor Schiwago“) schlug ihn aus. Wir Schweizer dürfen unseren österreichischen Nachbarn übrigens den Nobelpreis für Peter Handke von Herzen gönnen, denn auch als kürzlich der renommierte Büchner-Preis an „unseren“ Lukas Bärfuss ging, da wusste eigentlich keiner warum. Mit dem nächsten Streich drohen nun auch noch die Verantwortlichen des Schweizer Buchpreises. Lukas Bärfuss hatte ihn hart kritisiert, diesen Schweizer Buchpreis, und war dafür von den Deutschen geehrt worden. Eine Autorin, der mit dem Schweizer Buchpreis gedroht wird, ist Sibylle Berg. Der Literaturkritiker Daniel Schreiber beschreibt Bergs Figuren als „prall gefüllt mit unerfüllbaren Sehnsüchten, in gruseligen Beziehungen lebend und mit unzulänglichen Körpern ausgestattet, die sie durch das Fitnessstudio des real existierenden Neoliberalismus jagte und erbarmungslos scheitern liess.“ Das hört sich schon mal erbarmungslos und literaturpreiswürdig an. Den Schweizer Buchpreis für Sibylle Berg! GRM! Ob sie will oder nicht! Erbarmungslos!

Text und Foto: Kurt Schnidrig