Wenn das Leben zerbricht

Die Ferien sind vorbei, der Sommer neigt sich dem Ende zu, der Alltag hat uns wieder.
(Fotos: Kurt Schnidrig)

Schon fünfzig Jahre alt. Die Kinder sind selbständig. Die eigenen Eltern sind pflegebedürftig. Dann stirbt die Mutter, die Ehe auch. Der Sommer des Lebens weicht herbstlichen Stürmen. Es gibt Zeiten, da scheint sich alles gegen uns verschworen zu haben. Was jetzt? Ratgeberliteratur gibt es dazu haufenweise. Manchmal jedoch ist ein lebensechter Roman jedem Ratgeber haushoch überlegen. Was kostet das Leben? Deborah Levy ist in Grossbritannien eine gefeierte Theater- und Romanautorin. Sie erzählt von sich. Sie erzählt, was dann zu tun ist. Dann, wenn das Leben zerbricht.

Was das Leben kostet. So heisst der Roman von Deborah Levy. Selten hat mich beim Lesen ein Roman derart berührt. Bereits nach wenigen Seiten habe ich mich gefragt: Wie stark muss diese Frau sein? Schon beim ersten Querlesen fühlt man diese unglaubliche Energie, die das Buch verströmt. Deborah Levy erzählt aus ihrem eigenen Leben. Sie erzählt davon, wie vor zehn Jahren ihr Leben auseinander brach, wie ihre Ehe scheiterte. Nun ja, viele erleben heute Ähnliches, liesse sich da einwenden. Das Besondere an Deborah Levys Geschichte ist jedoch, dass sie es schafft, völlig ohne Selbstmitleid über eine Lebensphase zu berichten, in die jede und jeder von uns unvermittelt hineinschlittern kann. Ihr Roman ist kein Egobericht wie so viele ähnlich gerichtete Romane dieses Genres. Deborah Levy schafft es, aus ihrer so ganz persönlichen Lebenskrise eine Schule des Überlebens zu gestalten. Das geht allerdings nicht schmerzlos vonstatten, das kostet verdammt viel, es kostet fast den Funken Leben, der da noch am Glimmen ist. Und es kostet ein Nachdenken und eine Bestandesaufnahme all dessen, was da schief gelaufen ist.

Manchmal braucht es ein Unwetter, damit wir die Sonne wieder zu schätzen wissen.
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Eine Schule des Überlebens. Ein schmuckes Häuschen, in dem Glück und Wohlergehen von Partner und Kind immer vorgehen. Alles ist friedlich und ruhig. Das Leben plätschert ereignislos vor sich hin. Und dann ist man plötzlich von all dem Sozialkitsch nicht mehr überzeugt. Nicht mehr überzeugt von der Zukunft, die man gemeinsam geplant hat. Nicht mehr überzeugt von dem Haus, für das man sich verschuldet hat. Nicht mehr überzeugt von dem Menschen, der neben einem schläft. Nicht mehr überzeugt von der Freiheit, die man für ein ruhiges Fahrwasser geopfert hat. Und dann bricht ein Unwetter über uns herein, das sich seit langem am Himmel zusammengebraut hat, und es bringt uns unserer eigenen Person näher, der Person, die wir in dieser Welt gern wären. Das alles erzählt Deborah Levy in ihrem Roman, und sie erzählt das alles so, als stünde sie als Lehrerin an irgendeiner Wandtafel in irgendeinem Schulzimmer dieser Welt, und sie tut so, als ob sie bloss davon berichte, wie das alles halt so sei, in dieser Schule des Lebens, in der man immer wieder mal neu beginnen müsse.

Suche nach neuem Glück. Nach dem Unwetter, nach den unwirtlichen Kapriolen des Lebens, kommt eine erschöpfte, vernachlässigte und ungeliebte Frau zum Vorschein. „Was das Leben kostet“, der Titel des Romans von Deborah Levy trifft nur für den ersten Teil des Buches zu. Dann nämlich macht sich die Frau auf, um das Glück neu zu finden. Sie verlässt den trostlosen Ferienstrand und geht zurück in die Stadt, zurück unter Menschen. Auf einer kleinen Festlichkeit trifft sie einen fremden und auf den ersten Blick nicht unsympathischen Mann. Auch beste Freundinnen melden sich bei Deborah Levy. Es sind Helferinnen in der Not.

Was kostet das Leben? Das Unwetter verzieht sich. Die Verluste, welche die Protagonistin erlitten hat, die Verwundungen, die sie überstanden hat, die waren nicht vergebens. Sie sieht die Welt mit ganz neuen Augen. Sie entdeckt ihr eigenes Ich. Als schreibende Frau geht sie nun das Wagnis ein, in ihren Büchern „ich“ zu sagen und damit auch sich selbst zu meinen. Die Geschichte der Deborah Levy zeigt, dass ein Leben immer wieder mal einen neuen Anlauf braucht, um spannend zu bleiben.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig