Entzauberte Mondnacht

Apollo 11 hat die Romantik des Mondes zerstört. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Er raubte der Menschheit die Romantik einer Mondnacht: Edwin „Buzz“ Aldrin. Als zweiter Mensch betrat er den Mond und beschrieb, was er sah, als eine „grossartige Einöde“. In einem Briefing an US-Präsident Richard Nixon wurde Aldrin als „praktisch humorlose, allzu ernsthafte Persönlichkeit“ charakterisiert. Armstrong als erster Mensch auf dem Mond hatte noch pathetisch geschwärmt: „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein grosser Sprung für die Menschheit!“ Doch dann räumte sein Kollege Aldrin, der Pilot der Mondlandefähre Eagle, mit all den romantischen Träumen der Menschheit auf und deklassierte den Mond zu einer langweiligen Einöde. Die Mondlandung liess evident werden, dass der Mond leblos ist, leer, unheimlich, leichenhaft, fahl und bleich.

Der Mond als ein Requisit der Landschaftsromantik. In früheren Zeiten war der Mond eine kühl-liebliche Göttin. Im Zeitalter der Romantik war eine Mondnacht der stimmungsvolle Rahmen für eine Liebesnacht. Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857), der grosse Dichter der Romantik, fing im Gedicht „Mondnacht“ den Zauber, die Erotik, die Magie und die religiöse Verzückung einer Mondnacht ein:

Es war, als hätt der Himmel / Die Erde still geküsst, / Dass sie im Blütenschimmer / Von ihm nun träumen müsst‘. / Die Luft ging durch die Felder, / Die Ähren wogten sacht, / Es rauschten leis die Wälder, / So sternklar war die Nacht. / Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus, / Flog durch die stillen Lande, / Als flöge sie nach Haus.

Die Erotik des Mondes dem Prestige einer Nation geopfert. Die Mission Apollo 11 verfolgte vor allem den Zweck, das Prestige der Amerikaner in der Welt wieder herzustellen. Dafür war man bereit, die Fiktion, die Poesie und die erotische Verlockung des Mondes zu zerstören und durch das Totenhafte einer fürchterlichen Einöde zu ersetzen. Angefangen hatte alles mit Präsident John F. Kennedy. Er deckte seinen Vorgänger Eisenhower mit Vorwürfen ein: Dessen Mangel an Fleiss, an Initiative, an Visionen und an Dynamik wollte Kennedy wettmachen. Dazu kam, dass die damalige Sowjetunion den Wettlauf zum Mond mit ihrem Sputnik-Programm zusätzlich angeheizt hatte. Ende 1957 umkreiste eine Blechkugel aus Aluminium mit einem Durchmesser von 58 Zentimetern die Erde. Die Sowjets hatten erstmals einen künstlichen Erdsatelliten per Rakete ins All befördert. Mit dem Sputnik-Programm sollte die Menschheit von der Überlegenheit des politischen und gesellschaftlichen Systems der Sowjetunion überzeugt werden. Im Gegenzug darauf entschieden die USA im Juli 1969 das Prestige-Duell gegen die Sowjets mit der Mondlandung von Apollo 11 für sich. Schon drei Jahre später jedoch verpuffte die Euphorie der Mondfahrer wieder. Mitte Dezember 1972 verliessen die bisher letzten Amerikaner den Mond.

Was bleibt? Von den zwölf bemannten Apollo-Missionen bleibt auf dem Mond vor allem Weltraumschrott zurück, darunter sechs Abstiegsstufen der Mondlandefähren und drei Mondautos. Viel gravierender wiegt jedoch der Verlust für die Literatur. Der Mond ist seit jenen euphorischen Tagen im Juli 1969 zu einem abgenutzten und entzauberten Requisit der Landschaftsromantik mutiert.

Text und Foto: Kurt Schnidrig