Von Tieren lernen

Kann man von Tieren lernen? (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Pferde sind Persönlichkeits-Trainer. Unser Pferd hat mir schon einiges beigebracht. Seit ich Pferdebesitzer bin, weiss ich: Pferde sind die absoluten Meister im Lesen von Körpersprache. Sie sind auch die geborenen Gefühlsanalytiker, die bereits nach wenigen Sekunden „wissen“, wie ich heute „drauf“ bin, in welcher Stimmung ich mich also derzeit befinde. Und – im Gegensatz zu vielen Menschen – sie schaffen es dann auch, sich auf meine aktuelle Befindlichkeit einzustellen. Niemand macht einem Pferd etwas vor. Pferde spiegeln unsere Stärken und Schwächen, sie passen sich uns an, und wenn wir inkongruent sind, dann lassen sie uns das wissen. Wir Menschen kommunizieren nur 10 Prozent verbal, also mit Worten. Die Dimensionen der nonverbalen Intelligenz, also der anderen 90 Prozent, sind in unserer modernen Gesellschaft unfassbar unterentwickelt. Und das ist es, was wir von Pferden und anderen Tieren lernen können: Die Gefühle, Absichten und Wahrnehmungen hinter Worten effizient zu erkennen und herauszufinden, wie man selber auf andere wirkt. Solche eigene Beobachtungen und Erlebnisse bekommen derzeit viel Unterstützung aus Wissenschaft und Literatur.

Die Tierforscherin Sy Montgomery erobert mit ihren Büchern die Herzen vieler Leserinnen und Leser. Aufgewachsen ist sie auf einem Armeestützpunkt in Brooklyn. Dort zeigte sie bereits als Kind ein grösseres Interesse an Tieren als an Menschen. Sie war ein sehr stilles Kind, in ihrer Entwicklung hinkte sie den anderen hinterher. Erst als Molly, ein Scotchterrier, in die Familie kam, blühte sie auf und fing endlich an zu leben. Sy Montgomery ist jedoch nicht einfach bloss eine Tiernärrin. Als Wissenschafterin erzählt sie von einzigartigen Verbindungen zu unseren Mitgeschöpfen, den Tieren.

Innige Verbundenheit zu Tieren. „Ich erkannte, dass die innere Verbindung, wie ich sie einst zum Terrier Molly besessen hatte, entscheidend war. Ich würde nicht nur mein Gehirn öffnen müssen, sondern auch mein Herz“, schreibt die Autorin (Sy Montgomery: Einfach Mensch sein, Diogenes 2019, Seite 57). Es sind Expeditionen ins Tierreich und viele beglückende Begegnungen, welche die Autorin euphorisieren und zu derartigen Aussagen veranlassen. Das prägende Erlebnis mit ihrem kleinen Hündchen damals in der Kindheit hat eine Fortsetzung gefunden mit den Baumkängurus in den Nebelwäldern von Papua-Neuguinea oder mit den Flussdelfinen im Amazonas. Mittlerweile ist Sy Montgomery zur Überzeugung gelangt: Jedes einzelne Tier ist ein Wunder, in seiner Art vollkommen und ausgestattet mit Fähigkeiten, die über unsere eigenen hinausgehen.

Eine Liebeserklärung an das Tier. Der zivilisierten Welt den Rücken kehren, in die Wildnis abtauchen, den Geheimnissen nachspüren, welche Tiere von uns Menschen unterscheiden, mit Tieren Bekanntschaft schliessen – die Autorin Sy Montgomery hat diesen ihren Traum wahrgemacht. Unglaublich und faszinierend ist, was Sy Montgomery schon so alles über Tiere herausgefunden hat: Dass eine Grille mit ihren Beinen Zirpkonzerte geben kann, ist vielleicht noch bekannt. Haben Sie aber gewusst, dass Spinnen mit ihren Füssen die Welt „erschmecken“ können? Sie schreibt: „Ich wusste, da draussen war eine lebendige, grüne, atmende Welt, die von dem pulsierenden Leben der Vögel und Insekten, Schildkröten und Fische, Kaninchen und Rehe nur so brummte.“ (Einfach Mensch sein, Seite 25).

Führungs- und Sozialkompetenz vermitteln Seminare mit Pferden und anderen „Persönlichkeits-Trainern“. Sie helfen mit, die Natur, aber auch die eigene Kreativität, Weltoffenheit, Empathie und andere Lebensquellen neu zu erfahren und zu eröffnen. Und die Seminare versprechen: Sogar Ihr Herdenleben mit Ihren Zweibeinern wird sich neu für Sie darbieten…

Text und Foto: Kurt Schnidrig