Können Bäume weinen?

In Deutschland sind sich zwei Förster in die Haare geraten. Der eine behauptet, dass Bäume leben und weinen können. Der andere kontert: Echte Bäume weinen nicht. Wer hat recht?
(Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Beide sind sie Förster, beide leben sie in der Eifel, einer waldreichen Gegend zwischen Aachen, Bonn und Trier. Der eine heisst Peter Wohlleben, er hat einen Buch-Bestseller geschrieben mit dem Titel „Das geheime Leben der Bäume. Was sie fühlen, wie sie kommunizieren.“ Das war vor vier Jahren. In diesen Tagen kontert jetzt sein Kollege, der Förster Gerbrand Bakker, ebenfalls mit einem Buch. Und Bakker stellt klar: „Echte Bäume weinen nicht.“ Wer hat nun recht?

Einblicke in eine verborgene Welt. Tauchen wir zuerst ein in Peter Wohllebens Welt. Seine Aussagen sind zutiefst emotional. Er gibt der Forschung eine Seele. Ein Beispiel? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Bäume in der Nacht ihre Äste hängen lassen. In der Sprache Wohllebens heisst das: Die Bäume schlafen. Und wenn die Bäume aus ihren Wurzeln das Wasser, versetzt mit Luftbläschen, bis in die Äste und Zweige transportieren, dann bezeichnet Wohlleben das Geräusch, das dabei entsteht, als ein „Schnarchen“. In seinem Forstrevier bietet er Wochenenden im Wald an, oder auch das Einswerden mit den Bäumen, was er als „Waldbaden“ bezeichnet. Können Bäume und Tiere auch Liebe, Trauer und Mitgefühl empfinden, so wie dies die Menschen können? Für seine Kritiker ist Förster Wohlleben einfach nur esoterisch und kitschig. Und nicht genug damit, seine Kritiker schreiben Gegenbücher. Sie wehren sich gegen Wohllebens Thesen.

Was tun wir nur Bäumen wie diesen an? Wir stutzen sie lieblos zurecht. Können Bäume weinen?
(Foto: Kurt Schnidrig)

Echte Bäume weinen nicht. Ebenfalls in der Eifel lebt der Förster Gerbrand Bakker. Er wütet gegen Wohllebens Thesen. Echte Bäume weinen nicht, so heisst sein Gegenbuch, das in diesen Tagen erscheint. Bakker ist Niederländer, und er liebt die freie Sicht, Bäume stehen da nur im Wege. Und Bakker redet Klartext: Schon als Kind konnte ich Wälder nicht ausstehen, schreibt er in seinem Buch. Das Einzige, was bei ihm noch einigermassen „in die Tüte kommt“, das sind gestylte Barockgärten. Und die Bäume? Bitte nur zurecht getrimmt, nicht so wild und urwüchsig, sondern strukturiert und bearbeitet. Leute, vermenschlicht doch die Bäume nicht! Mit dieser Warnung verbindet Bakker die Forderung, dass von Menschen geschaffene Künstlichkeit gegenüber der Natürlichkeit vorrangig zu sein hat. Er postuliert klare Grenzen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Bäumen.

Wer hat nun recht? Der romantisch-emotionale Förster Wohlleben oder der realistisch-rationale Förster Bakker? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Sie hängt wohl davon ab, welch Geistes Kind man ist. Die beiden Förster verkörpern zwei grundverschiedene Charaktere. Förster Bakker lässt Phantasie, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl vermissen. Aus meiner Sicht ist er als Mensch einer dieser harten Kerle aus alter Schule. Er verkörpert ein Erziehungsideal, das auch noch unsere ältere Generation teilweise verkörpert. Männer weinen nicht! Ein Indianer kennt keinen Schmerz! Weinen, das tun nur Memmen und Kleinkinder! Männer und Bäume weinen nicht.

Mein Freund, der Baum. Mein alter Freund aus Kindertagen.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Darf man Bäume wie Menschen beschreiben? Auf dem Weg durch unser Dorf treffe ich täglich auf eine uralte, prächtige Linde. Sie war schon immer da, schon seit Kindertagen. Kann (darf) man einem Baum sein Leid klagen oder seine Freude kundtun? Bei dieser Frage fällt mir ein Liedtext ein, der vor Jahren viele Menschen bewegte, und der ihre Haltung gegenüber der Natur und gegenüber allen Lebewesen massgeblich beeinflusste. Melancholisch und romantisch besang in den 60er-Jahren die Autorin und Songwriterin Alexandra den Tod eines Baumes. Genau fünfzig Jahre sind es nun her, da starb sie eines unerklärlichen Todes. Im Juli 1969 lenkte sie ihren Mercedes Coupé in einen vorfahrtsberechtigten Lastwagen. Ein Lied ging durch die Welt: Mein Freund, der Baum. Ein Text, ganz im Sinne von Förster Peter Wohlleben.

Mein Freund der Baum. „Ich wollt dich längst schon wieder sehen, mein alter Freund aus Kindertagen. Ich hatte manches dir zu sagen und wusste, du wirst mich verstehen. Als kleines Mädchen kam ich schon zu dir mit all den Kindersorgen. Ich fühlte mich bei dir geborgen und aller Kummer flog davon. Hab ich in deinem Arm geweint, strichst du mir mit deinen Blättern übers Haar, mein alter Freund. Mein Freund, der Baum, ist tot. Er fiel im frühen Morgenrot. Du fielst heute früh, ich kam zu spät. Wer wird mir nun die Ruhe geben, die ich in deinem Schatten fand? Mein bester Freund ist mir verloren, der mit der Kindheit mich verband.“ (Aexandra, bürgerlich Doris Nefedov, gestorben am 31. Juli 1969).

Text und Fotos: Kurt Schnidrig