Eine Insel des Friedens

Herzliche Begrüssung in San Joan auf Ibiza. Vor 50 Jahren spielte sich hier ab, was ich in meinem Roman „Vergiss nicht die Blumen in deinem Haar“ erzähle.
Foto: Kurt Schnidrig

Eine Spurensuche auf Ibiza. Die vergangenen Tage weilte ich auf Ibiza. Ich war auf Spurensuche. Leben sie noch, die Protagonisten aus meinem Roman? Und ja, es gibt sie noch, die Hippies. Auch die Kommunen in Sant Joan de Labritja. Und die Trommlerbucht Cala Benirras. Fünfzig Jahre ist es nun her. Ich bin rechtzeitig zurück zum grossen Hippie-Revival. „Vergiss nicht die Blumen in deinem Haar“, so heisst mein Roman. Und nochmals ja! Sie tragen die Blumen immer noch im Haar, und die Sehnsucht nach Frieden und Liebe ist immer noch in ihren Herzen.

In der Hippieszene von San Joan. Frauen, die spät noch Mütter geworden sind und mit ihren bunten Kleidern ein Blickfang auf jedem Grünen-Parteitag wären, begrüssen uns. Sie haben es geschafft, Zeit und Geld zu einer Harmonie verschmelzen zu lassen. Sie leben immer noch ein friedvolles Leben mit grenzenloser Liebe. Sie sind ein Teil der Soziostruktur Ibizas geworden. Fünf Jahrzehnte nach den Anfängen sind die Hippies und ihre Kinder zu Ibizenkos geworden, zu einem selbstverständlichen Teil der Gesamtbevölkerung der Insel. Und hier treffe ich auch eine Frau wie Dana, sie sitzt vor ihrem Restaurant Vista Alegre. Ist es die Protagonistin Dana aus meinem Roman?

Ist es Dana, die Protagonistin aus meinem Roman? Sie sitzt vor ihrem Restaurant in San Joan. Realität oder Fiktion? Ein Romancier darf diese Frage nicht beantworten.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Was ist aus den Aussteigern von damals geworden? Hippies sind heute scheue Wesen. In Ibizas Norden allerdings empfangen sie mich immer noch mit alter Herzlichkeit. Heute sind sie Ökos, Althippies, Trommler, Dragqueens oder auch gewiefte Geschäftemacher. Sie verkaufen ihren handgemachten Schmuck auf dem berühmten Hippiemarkt in Las Dalias. Unter Weinlaub lässt sich nostalgisch zwischen den Ständen flanieren. Hier gibt es nicht nur Touri-Massenware made in Taiwan, nein, sie bieten echtes Kunsthandwerk feil, das unter Hippiehänden eine originale Aussagekraft erhält. Vor allem bieten die Althippies eigenen Schmuck und Schnitzwaren feil.

Der Hippiemarkt von Las Dalias ist ein Überbleibsel der 60er-Jahre. Junge Aussteiger kamen auf die Insel auf der Suche nach alternativen Lebensformen. (Foto: Kurt Schnidrig)

Von den Rolling Stones bis Led Zeppelin. Wer in Nostalgie schwelgen will, der bekommt hier in Las Dalias alles, was seine Hippie-Seele begehrt. Die Geschichte begann in den frühen 60er-Jahren. Mit dem Verkauf von Handarbeiten wie selbst gebasteltem Schmuck oder mit Naturfarbe gefärbter Kleidung hielten sich die jungen Aussteiger schon damals über Wasser. Dann hatte der Bauer Joan die Idee, den Bewohnern der Gegend einen Social Club zu bieten, mit allen sozialen Events, von Taufe bis Tanz. Das nahe gelegene Aufnahmestudio seines Sohns Juanito zog Rockgrössen an wie Ron Wood von den Rolling Stones, Jimmy Page von Led Zeppelin, Mike Oldfield und Bob Geldof. Bis heute ist Las Dalias ein Veranstaltungsort geblieben für Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen. Immer noch ist Sex, Drugs and Rock’n Roll angesagt, für modernes Getue wie Veganismus, Lactose-Intoleranz und Helene Fischer hat man nur ein müdes Lächeln übrig.

Die Trommelbucht Cala de Bernirras mit dem „Finger Gottes“ ist das Epizentrum der Hippiekultur. Wir trommeln die good vibrations herbei. (Foto: Kurt Schnidrig)

Wir trommeln die guten, alten Zeiten herbei. Ein letzter Besuch dann in der mystischen Bucht in der Cala de Bernirras. Sie ist das marine Epizentrum der Hippiekultur, mystisch und magisch. Wenn die Sonne untergeht, ertönen die Trommeln, so wie früher, und sie erzeugen in uns allen wieder good vibrations. Warum das so ist, das weiss keiner so genau. Vielleicht trägt der Blick hinaus aufs Meer viel dazu bei, der Blick auf Es Cap Bernat, den „Finger Gottes“ draussen im Meer. Wir huldigen dem zauberhaften Ort ein letztes Mal, und irgendwie fliessen die geheimnisvollen vibrations zusammen, bei einigen möglicherweise bei besonders gutem Gras.

Mit good vibrations und Sehnsucht im Herzen verlasse ich das Paradies.

My Happy Hippie Place. Fünfzig Jahre danach. Der legendäre summer of 69 liegt nun fünfzig Jahre zurück. In wenigen Stunden fliege ich zurück. Es ist ein Zurück mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zum Abschied aus San Joan fragte ich nach den Kosten, die mein Aufenthalt verursacht habe. Da stellt die Wirtin des Restaurants in San Joan ein zerbeultes blechernes Herz vor mich hin. „Ach, leg ein paar Euros rein oder lass es einfach sein“, meinte sie, „aber komm wieder mal vorbei.“

Von der Hippiekultur zurück in die Yuppiekultur. Ein Traum ist ausgeträumt.
(Foto: Kurt Schnidrig)

Der blumige Hippietraum versinkt, es wartet zu Hause die kapitalistische Yuppiekultur. Zurück bleibt die Insel des Friedens und der Liebe, die ich verlor.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig