In den Armen einer Schickse

Eine meiner Reisen durch Israel führte mich von Tel Aviv nach Jerusalem. Jerusalem ist heilig, Tel Aviv ist irdisch. Es sind dies zwei Städte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Trifft man in Jerusalem auf die frommen und orthodoxen Juden, bietet Tel Aviv jede Menge irdisches Vergnügen. In Tel Aviv hat es Theater, Kinos, Popkonzerte und vor allem ein überaus freizügiges Leben. Im orthodoxen Jerusalem sollten Männer einen Hut und Frauen ein Kopftuch tragen sowie Schultern und Oberarme bedecken. In den Strassen Tel Avivs dagegen trifft man auf aufreizend gekleidete und freizügige Menschen. Grell geschminkte Frauen zeigen viel Haut. In der einen Hand raucht eine Zigarette, an der anderen Hand führen sie ihren Lover spazieren. Der Schnappschuss (oben) gelang mir an der berühmten Strandpromenade von Tel Aviv. Er zeigt die vielgestaltige Gesellschaft Israels. Ganz links im Bild auf dem Fahrrad ein jüdischer Mann mit der obligaten Kippa auf dem Kopf. Rechts im Bild ein Soldat der israelischen Streitkräfte mit dem Maschinengewehr im Anschlag. In der Mitte ein freizügig gekleidetes Pärchen. Im jüdischen Sprachgebrauch zeigt das Bild eine Schickse, eine aufreizend gestylte nichtjüdische Frau.

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Dies ist der Titel eines Romans von Thomas Meyer. Der Roman ist 2012 erschienen, und er erzählt von einem jungen Juden aus der Schweiz, der durch die Liebe zu einer Schickse seiner Erziehung entfliehen möchte, in der immer noch die Mutter das Sagen hat. Das Buch wurde soeben von Michael Steiner verfilmt. Der Film läuft aktuell in unseren Kinos. Die Schweizer Romanverfilmung ist in vielen Schweizer Kinos ein echter Abräumer. Regisseur Michael Steiner hat die Romanvorlage weitgehend adaptiert. So begegnen wir im Buch wie auch im Film dem sprichwörtlichen jüdischen Witz. Die Geschichte ist voller Übertreibungen. und die Sprache ist für sich schon ein Ereignis. Das Hochdeutsche hat der Autor Thomas Meyer jiddisiert, also mit dem Jiddischen vermischt. Ein Beispiel? Da sagt einer in einer Gaststätte zum anderen: Itzt, Bruder, trink ich, und wenn es roischt in Kop, faif ich oif der ganzer Welt…“ Das ist jiddisches Hochdeutsch. Originales Hebräisch dagegen ist die Bezeichnung Schickse.

   

Eine Schickse  bezeichnet im jiddischen Sprachgebrauch ursprünglich ein nichtjüdisches Mädchen, das für Heirat und Familiengründung nicht in Frage kommt. Später entwickelte sich daraus zusätzlich die Bezeichnung für eine zu grell geschminkte, zu aufreizend gekleidete und sexuell zu freizügige junge Frau. Mein Bild (oben) zeigt Schicksen auf dem Dizengoff-Boulevard, der bekanntesten Flanierstrasse der Stadt, die auf eine Mitfahrgelenheit hoffen. Das Wort Schickse ist zudem ein jüdisches Schimpfwort, das auch Eingang gefunden hat in die deutsche Sprache. Hier wird es als abwertende Bezeichnung für leichtlebige Frauen gebraucht. In manchen Gegenden Deutschlands, etwa im Ruhrgebiet, bezieht sich die Bezeichnung Schickse auf eine attraktiv erscheinende Frau, die für Männer eine Versuchung darstellen könnte. Das männliche Gegenstück zur Schickse ist im Jüdischen der Schegez.

Die Romanverfilmung „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ handelt von Motti, einem orthodoxen Juden. Seine Mutter (jiddisch: mame) sucht für ihn eine Frau zum Heiraten. Pech für Motti ist nur, dass alle diese Frauen genau gleich aussehen wie die mame. Dies ganz im Gegensatz zu Laura, der adretten Mitstudentin von Motti. Aber eben – leider ist Laura eine Schickse. Als Schickse ist die attraktive Laura eine echte Versuchung für Motti. Sie trinkt Gin Tonic, und wenn sie spricht, braucht sie Ausdrücke, die nun wirklich nicht stubenrein und druckreif sind. Den orthodoxen Motti überkommen Zweifel an seinem bisherigen Lebensweg. Je länger je mehr löst er sich von seiner mame los. Motti verweigert seiner mame den blinden Gehorsam. Dafür entbrennt in Motti die wilde Leidenschaft für die Schickse namens Laura. Doch als schliesslich die Schickse Laura mit dem Jid Motti im Hause ihres (anderen) Liebhabers übernachtet, kommt es zur handgreiflichen Katastrophe.

In den Armen einer Schickse könnte jeder von uns mal landen. Das jüdische Bild der Schickse entspricht dem stereotypen Fantasiebild der hypersexuellen fremden Frau. Die Schickse, dieser weibliche Vamp, ist wohl in allen Kulturen der Inbegriff von feuchten Männerträumen. Im Judentum kommt aber noch die angsterfüllte Vorstellung vom Verlust der kulturellen Identität durch Assimilation hinzu.

Text und Fotos: Kurt Schnidrig