Lust auf Sommer

Heisse Geschichten, heisse Zeiten. Nach diesem Motto hat der Diogenes Verlag einen Sammelband zusammengestellt, der Lust auf Sommer machen soll. Nun gibt es ja viele Geschichten, die sich für einen Sommer-Geschichten-Sammelband eignen würden. Die Frage ist nur, nach welchen philosophischen Grundgedanken die Auswahl erfolgen soll. Das Grundprinzip von Diogenes lautet: Die Geschichten sollten Ferienlaune verbreiten, sie sollten Freude und Glück verströmen. Wenn die Temperaturen steigen, fallen die Hemmungen, behauptet der Herausgeber auf dem Klappentext. Ist dieser Ansatz allzu trivial? Zum Vergleich: Etwas literarisch gehobener geht es zu in Bernhard Schlinks Erzählband „Sommerlügen“.

Bekannten Autorinnen und Autoren. Der aus Aarau stammende Hansjörg Schneider erzählt in der Anthologie „Heisse Zeiten, heisse Geschichten“ von einem Mädchen namens Henriette, das im Schwimmbad einen Partner auf Zeit kennenlernt. Der Ferienflirt findet bei der Abreise ein abruptes Ende. Der in Tokio lebende japanische Bestseller-Autor Banana Yoshimoto hat sich eine unheimliche Liebensnacht ausgedacht, die sich so oder ähnlich während eines Sommergewitters ereignen könnte. Der Niederländer Leon de Winter ist angetan von einem römischen Kellner, der es schafft, die Gattin eines Diplomaten ins Reich von erotischen Phantasien zu entführen. In Sachen Erotik will der temperamentvolle italienische Autor Fabio Volo nicht zurückstehen. Volo wird konkret und verrät, was in in unserem südlichen Nachbarland so abgeht in der berühmten nachmittäglichen Siesta. Weitere sommerlich-süffisante Geschichten sind bei Grössen aus der Literaturgeschichte wie Kurt Tucholsky und Patricia Highsmith ausgeborgt und als genügend „heiss“ eingestuft worden, um in die Sommergeschichten-Anthologie aufgenommen zu werden. Ob ein hitziges Schäferstündchen in der Grossstadt oder eine Foreign Affair, ob flüchtiger Urlaubsflirt oder gar die grosse Liebe, es wird bald einmal klar, wie heisse Geschichten in heissen Zeiten beschaffen sein sollen.

Sommerliebe. Natürlich spielt das Thema „Sommerliebe“ irgendwie in alle diese Geschichten hinein. Interessant ist, wie die Herausgeber für die Liebe als angesagtes Sommerthema argumentieren. Ihre Argumentation geht ungefähr so: Es ist Sommer. Den meisten Menschen geht es im Sommer besser als im Winter. Im Winter hat man bekanntlich viel mehr Probleme, die der Liebe hinderlich sind. Rauhe Lippen zum Beispiel, Grippe, oder es ist einem ganz einfach zu kalt. Das alles verträgt sich schlecht mit der Liebe. Im Sommer haben die Menschen mehr Zeit, viele sogar Urlaub. Jedes Jahr gibt es einen Sommerhit, den jeder pfeift. Die Menschen sind emotionaler. Und ja, in lauen Sommernächten wird auch mehr gelogen als in Winternächten. Aber es wird wenigstens miteinander gesprochen. Und wo gesprochen wird, da entstehen auch Geschichten. Etwas psychologisch anspruchsvoller argumentiert Bernhard Schlink in seinen „Sommerlügen“.

Sommerlügen. So heisst der Erzählband von Bernhard Schlink. Darin erzählt er sieben Geschichten und gleichzeitig sieben Lebenslügen. Eine dieser Geschichten ist mir besonders in Erinnerung geblieben. „Die Reise nach Süden“ handelt von einer Frau, Emilia, die in die Jahre gekommen ist und nun ein Lebensfazit zieht. Emilia hört eines Tages plötzlich damit auf, ihre Kinder zu lieben. Sie beginnt sich zu hinterfragen, wie das Leben denn gewesen wäre, wenn sie sich mehr ihrem Lebenspartner gewidmet hätte. Ihr Fazit fällt ernüchternd aus. Sie habe Angst gehabt vor einem Leben mit ihrem Mann, die Beziehung habe sie überfordert, und so sei ihr die Fürsorge für die Kinder willkommener gewesen. „Ich bin in meine Welt geflüchtet“, muss sich Emilia in einer Sommernacht eingestehen. Gleichzeitig macht sich auch ihr Mann, ein pensionierter Professor, so seine Gedanken. Er stellt sich die Frage, ob er jemals glücklich gewesen sei. Er lädt daraufhin seine Frau, Kinder und Enkelkinder zu einem letzten Sommer im Ferienhaus ein. Dass es der letzte gemeinsame Sommer sein wird, weiss jedoch nur er. Die letzte Einladung ist seine ganz persönliche Sommerlüge.

Ob eher luftig-oberflächliche „heisse Geschichten“ oder ob tiefsinnige „Sommerlügen“, ob Liebesfreud oder Liebesleid, da ist vieles, was die Lust auf den Sommer befördern und befeuern kann.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig