Der Berg ruft

Nun sind die Zeitungen wieder voller Berichte von Besteigungen. Wenn der Berg ruft, dann kommen sie, die Waghalsigen, die Tollkühnen, die Abenteurer. Der Berg kann nicht hoch, steil und gefährlich genug sein. Berge werden „bezwungen“ und „besiegt“. Damit lässt sich dann vortrefflich plagieren und angeben. Man kann das natürlich auch philosophisch sehen. Es geht ja auch darum, an die eigenen Grenzen zu gehen. Das eigene Leben erscheint heute vielen allzu spiessig und allzu bürgerlich. So gesehen wird das Bergsteigen zu einem Kick, zu einem steinigen Weg auf der Suche nach ein bisschen Glück.

Hans-Peter Duttle ist einer von denen, die mit Extremsport, mit Klettern und Bergsteigen sich befreien wollen von einem Leben, in dem Freude und Zufriedenheit fehlen. Bergsteigen allein genügt ihm nicht. Gerne darf es dabei auch noch „illegal“ zugehen. Von Zermatt aus hatte er sich aufgemacht, um den Mount Everest vom verbotenen Tibet aus zu besteigen. Dazu passend war er schlecht ausgerüstet, ohne Träger, ohne Satellitenfunk, ohne medizinische Betreuung. Nicht einmal eine höhentaugliche Sonnencrème hatte sich der Mann gegönnt. So was nennt sich Himmelfahrtskommando. Logisch, dass seine Expedition am Everest dramatisch scheiterte. Retter mussten sich in Todesgefahr begeben, um den Mann aus dem Berg zu holen. Nun hat er ein Buch darüber geschrieben. Das Buch trägt den reisserischen Titel „Illegal am Everest“. Soll man da nun auch noch applaudieren?

Traumatisierter Bergsteiger. Bergsteiger und Autor Hans-Peter Duttle kam bereits traumatisiert zu uns ins Wallis. Geboren ist er im Libanon. Dort wütete ein Bürgerkrieg. Dort hatte ihn eine Familientragödie fürs ganze Leben gezeichnet. Dann brach auch noch der Zweite Weltkrieg aus. Hans-Peter Duttle wollte dieser kriegerischen Realität entfliehen. Hatte er sich vorerst noch mit Büchern über berühmte Abenteurer und Entdecker trösten können, genügte es ihm bald einmal nicht mehr, sich lesend ins Leben der Protagonisten einzufühlen. Er wollte selber werden wie die Protagonisten, über die er in der Abenteuerliteratur las.

Alles begann in Zermatt. Um dem oberflächlichen Leben zu entgehen, erhoffte Duttle sich ein ultimatives Abenteuer in der hochalpinen Region rund um Zermatt. An den Bergen im Mattertal erlernte er das Klettern und das Bergsteigen von Grund auf. Hier in Zermatt traf er auch Kollegen, die zu allem bereit waren, auch zur illegalen Kletterei am berühmtesten Berg dieser Erde. So hatte sich Hans-Peter Duttle zusammen mit drei Amerikanern von Zermatt aus aufgemacht, um den Mount Everest von der illegalen tibetischen Seite her zu bezwingen. Für ihn habe die Expedition auch eine spirituelle Seite gehabt, schreibt er.

Ruhelosigkeit und Risikobereitschaft blieben bei Hans-Peter Duttle wichtige Grundhaltungen. Sie bestimmten sein Leben auch dann noch, als er mit viel Glück das illegale Himalaya-Abenteuer überlebt hatte. Zurück in der Schweiz, holte ihn das spiessige und bürgerliche Leben von neuem ein. Da wanderte er in den hohen Norden von Kanada aus, um dort ein Leben unter den Inuits zu führen. Erst im Alter ist er jetzt zurück in die Schweiz gekommen. Hier liess er vom wörterseh-Verlag ein Buch schreiben über sein Schicksal. Es heisst „Illegal am Everest. Mein steiniger Weg auf der Suche nach Glück.“

Ob Hans-Peter Duttle nun Glück und Frieden gefunden hat? Hat ihm das Schreiben des Buches ein paar therapeutische Stunden beschert? Er hat ein Leben wie ein Himmelfahrtskommando geführt. Er hat alles überlebt. Er hat aber alles Glück dieser Erde beanspruchen müssen, um zu überleben. So stellt er denn bescheiden und einsichtig seiner Geschichte ein Zitat der französischen Bestseller-Autorin Françoise Sagan voran: „Man weiss selten, was Glück ist, aber man weiss meistens, was Glück war.“

Françoise Sagan, die den deprimierenden Roman „Bonjour Tristesse“ geschrieben hat, könnte erklären, was in Menschen wie Hans-Peter Duttle vor sich geht. In ihrem Roman singt Juliette Gréco das Chanson „I’ve lost me, that’s all I know.“ Dieser Stimmung begegnen wir auch in Duttles Lebensgeschichte wieder.

Text und Foto: Kurt Schnidrig