Literarisches Wissen von Maturanden

Zu keiner Zeit weiss ein Mensch mehr als während der Maturaprüfungen. Als Experte für Deutsch darf ich mich während dieser Woche von den literarischen Höhenflügen der Maturandinnen und Maturanden beflügeln lassen. Querbeet durch die deutschsprachige Literaturgeschichte. Mit historisch-politisch-sozialem Hintergrundwissen. Mit Analysen und Interpretationen von hervorragenden literarischen Werken vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Popliteratur der Gegenwart. Über welche literarischen Werke sollte eine Maturandin oder ein Maturand aber Bescheid wissen? Nachfolgend eine Übersicht.

Literatur des Biedermeier. In den Jahren zwischen 1815 und 1848 meinte man mit „Biedermeier“ die gute alte Zeit. Häuslichkeit war eine wichtige Tugend. Dazu wurde Geselligkeit im kleinen Kreis gepflegt. Der Rückzug ins Private war angesagt. Die Lyrik aus dieser Zeit ist sehr ausdrucksstark. Als dichterische Repräsentantin des Biedermeier gilt Annette von Droste-Hülshoff mit ihrer Novelle „Die Judenbuche“. Die Novelle handelt von einem unaufgeklärten Mord. „Die Judenbuche“ ist gleichzeitig eine Milieustudie.

Literatur des Vormärz / Junges Deutschland. Der Naturwissenschaftler und Revolutionär Georg Büchner starb bereits mit 23 Jahren. Seine Werke „Der hessische Landbote“ und „Lenz“ sind Weltliteratur.

Literatur des Frührealismus. Der Schweizer Schrifsteller und Pfarrer Albert Bitzius schrieb unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf. Seine Werke sind Lehrstücke für ein besseres und gottesfürchtiges Leben. „Elsi, die seltsame Magd“ ist ein typisches Beispiel. Als Schulstoff gilt darüber hinaus auch „Die Schwarze Spinne“.

Literatur des Realismus. Mit „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ hat Gottfried Keller eine schweizerische Adaption des Shakespeare-Dramas geschaffen. Zwei Liebende gehen zusammen in den Tod, weil sich ihre Familien feindlich begegnen. Zu den Realisten gehört auch Theodor Fontane und dessen Werk „Irrungen, Wirrungen“. Der Roman handelt von einer nicht standesgemässen Liebe.

Literatur des Naturalismus. Wer kennt es nicht, das Kunstgesetz des Naturalismus: Kunst = Natur – X. Durchgesetzt hat sich aus der Epoche des Naturalismus aber eher die Milieustudie. Gerhart Hauptmanns „Bahnwärter Thiel“ ist eine eindrückliche Geschichte, die zeigt, wie zerstörerisch Probleme in der Partnerschaft sich auswirken können.

Fin de siècle. Um die Jahrhundertwende dichtete Rainer Maria Rilke in seinem Schlösschen Muzot hoch über der Stadt Siders. Die Gedichtsammlung „Neue Gedichte“ sollte jede Maturandin kennen. Sein einziger Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ ist eine literarische Rarität. Wer es lieber prosaisch mag, dem ist Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ zu empfehlen.

Lyrik des Expressionismus. Sich „ausdrücken“, das heisst, expressionistisch zu Werke gehen. August Stamm oder Georg Trakl drücken tief Empfundenes in Gedichtform aus.

Parabolische Dichtung. Wer gerne interpretiert, der ist mit den Parabeln von Franz Kafka bestens bedient. Mit „Vor dem Gesetz“ etwa oder „Das Schloss“. Wer Kafkas Parabeln gelesen hat, der vergisst sie niemals mehr. Eine Parabel erzählt davon, wie ein Mensch eines guten Morgens als ein Käfer aufwacht…

Die Literatur im Dritten Reich. Mit „Des Teufels General“ hat sich Carl Zuckmayer, der auch im Saastal lebte, ein Denkmal geschaffen. Der Pilot Harras arbeitet für die Nationalsozialisten, obschon er deren Taten verachtet. Das Drama endet mit einem Flug in den Tod.

Die Kurzgeschichte oder die Lyrik von 1945 bis in die Gegenwart liefert viel Stoff für hitzige Diskussionen. Kurzgeschichten kamen nach dem Zweiten Weltkrieg als neues literarisches Genre auf. Einen grossen Einfluss übte die amerikanischen „Short Story“ auf die deutschsprachige Kurzgeschichte aus.

Dramentheorie zwischen absurdem Theater und dokumentarischem Theater kann spannend werden. Friedrich Dürrenmatt hat hier mit „Der Besuch der alten Dame“ literarisch tüchtig vorgelegt. Das aristotelische Theater verlangt Einfühlungsvermögen, es handelt mit Gefühlen. Das epische Theater ist ein „Theater des Zeigens“, Theater soll als Theater sichtbar gemacht werden.

Literatur der Postmoderne. Dazu gehört der grossartige Roman-Erstling „Das Parfum“ von Patrick Süskind. Es ist dies die Geschichte von Grenouille, der mit einem feinen Riechorgan ausgestattet ist. Er ist auf der Suche nach einem ultimativen Parfum, das Menschen friedlich und zugänglich macht.

Popliteratur. Sie schwärmt von einem Aufbegehren gegen verkrustete Situationen. Finn-Ole Heinrichs „Räuberhände“ ist eine Geschichte, die vom Aufbegehren junger Menschen erzählt. Der Ausdruck „Popliteratur“ ist allerdings noch nicht endgültig etabliert. Trotzdem werden bereits viele belletristische Texte von grosser inhaltlicher Vielfalt diesem Begriff untergeordnet.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig.