Ein Vorlesetag

Der erste Schweizer Vorlesetag geht kommenden Mittwoch, 23. Mai, über die Bühne. Der Vorlesetag geht auf eine Initiative des Schweizerischen Instituts für Kinder- und Jugendmedien SIKJM zurück. In Kooperation mit Famigros und 20 Minuten sollen in der ganzen Schweiz private, schulische und öffentliche Vorleseaktivitäten stattfinden. Vorleseaktionen am 23. Mai können überall stattfinden: In Bibliotheken genauso wie in Einkaufszentren oder Schwimmbädern. Der Kreativität in der Ausgestaltung sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Mitbeteiligt am Schweizer Vorlesetag ist auch die Kantonsgruppe Wallis des SIKJM, als deren Präsident der Schreibende verantwortlich zeichnet. Als Beispiel sei die Mediathek Visp angeführt. Im Rahmen des Schweizer Vorlesetags bietet Frau Bettina Bischoff ab 16.15 Uhr Vorleseaktivitäten zum Thema „Abenteuer Ferien“ für Kinder von drei bis sieben Jahren an. Auf besonders fruchtbaren Boden ist der erste Schweizer Vorlesetag im Mittelwallis gestossen, wo sich die geschichtenhungrige Zuhörerschaft  in Sitten, Savièse oder auch in Crans-Montana trifft. Ein interessantes Motto hat sich die Bibliothèque von Crans-Montana auf die Fahne geschrieben: „Ecouter, partager la même histoire dans plusieurs langues.“ Eine Übersicht über die mitmachenden Orte und Institutionen gibt eine Karte auf www.schweizervorlestag.ch

Das Vorlesen fördert die literarischen Kompetenzen. Die Entwicklung des Vorstellungsvermögens ist dabei eine der wichtigsten Teilkompetenzen. Werden fiktionale Texte vorgelesen, können die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Köpfen ein eigenes Bild von der literarischen Welt, von den Figuren, von der Handlung und von den Stimmungen entstehen lassen. Die Imaginationsfähigkeit lässt sich noch zusätzlich steigern, wenn das Vorlesen lebendig geschieht. Dies kann die vorlesende Person erreichen durch die Betonung von Schlüsselstellen, durch Atempausen und durch die Variation von Lesetempo und Lautstärke.

Beim Vorlesen lassen sich alle Sinne ansprechen. Sogenannte extraverbale Ausdrucksmittel sind zum Beispiel der Blickkontakt oder die mimisch-gestische Unterstützung. Eine Vorleseaktivität lässt sich bis zu einer theatralen Form ausbauen. Die theatrale Form der Leseaktivität ist zwar publikumswirksamer, sie steigert jedoch nicht unbedingt auch deren Qualität. Es hat sich bewährt, beim Vorlesen den Figuren charakteristische Stimmen zu verleihen. Dies ermöglicht der Zuhörerschaft ein besonders gut erlebbares Nachvollziehen der Figurenperspektiven.  Die Sprechwissenschaft lehrt uns, dass eine höhere oder tiefere Stimmlage das Vorlesen interessanter zu gestalten vermag, genauso wie das Variieren von Tempo und Lautstärke.

Vorlesen ist auch Beziehungsarbeit. Das Vorlesesetting ermöglicht gemeinsames Erleben und Lernen. Das Vorlesen verbessert die menschliche Beziehung zwischen der vorlesenden Person und den Zuhörenden. Häufig enden Vorleseaktivitäten mit einem Gespräch. Nicht nur Kinder haben ein natürliches Bedürfnis, Fragen zu stellen und sich über das Gehörte auszutauschen. Visualisierungen und Animationen können die Interaktionen noch zusätzlich vertiefen. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass die vorlesende Person eine Puppe sprechen lässt. Bei Erwachsenen kann auch eine ruhige Hintergrundmusik das Gehörte emotionalisieren und sinnlich erfahrbar machen.

Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser? Wem lesen Sie kommenden Mittwoch eine Geschichte vor?  Natürlich darf auch jeder andere Tag ein persönlicher Vorlesetag sein.

Text und Foto (Symbolbild): Kurt Schnidrig