Dinner mit Zwischentönen

War das ein Hochgenuss für Auge, Ohr und Gaumen! Am vergangenen Wochenende servierten uns drei mitreissende und charmante Künstlerinnen alles, was das Herz begehrt. Eingeladen hatten die drei Macherinnen von „Kunststück, Frau!“ zu einem Dinner mit gepflegten Zwischentönen. Die Autorin Cornelia Heynen-Igler (Bild) trug zwischen den einzelnen Gängen eines oppulenten Dinners animierende Passagen aus ihren Kurzgeschichten vor, von der Malerin Helga Zumstein wunderschön illustriert und von der Bassistin Marion Sauder klanglich bereichert.

Cornelia Heynen-Igler ist uns allen noch in bester Erinnerung als Kolumnistin. Was haben wir damals gerätselt, wer sich wohl hinter dem Namen Mary verbergen könnte. Woche für Woche erschienen ihre Kolumnen in der RZ, heute gelten sie als das Beste, was in unseren Breitengraden unter der Kolumnenschreiberei auszumachen ist. Ist die Kolumne eine Glosse, eine Causerie oder ein Kommentar? Bei Cornelia Heynen-Igler war es wohl von all dem ein wenig, vor allem aber original, unverwechselbar und unvergleichlich Mary. Nichts und niemand war vor Marys spitzer Zunge sicher, weder die Sensibelchen, noch die Waschweiber, noch die Trampel, noch die Pantoffelhelden, noch die Kiffer oder die Mütterlein. Viele Bestseller-Autoren waren zuerst als Kolumnisten erfolgreich, bevor ihnen dann später der Durchbruch als Erfolgs-Autor oder Erfolgs-Autorin gelang.

Deutschlehrer sind Neurotiker, und von einem so gearteten Pädagogen erzählt Cornelia Heynen-Igler in ihrem höchst erfolgreichen Büchlein „Witwensommer“. Nun, man sollte jetzt nicht alle Deutschlehrer ins selbe Tintenfass werfen. Richtig ist aber: Sie sind eine ganz besondere Spezies des Homo sapiens. Ob die manchmal doch eher verqueren und aufmüpfigen literarischen Werke schuld daran sind? Schlecht muss das nicht immer sein. Im Gegenteil.  Ein Neurotiker kann ja durchaus auch Positives bewirken. Er nimmt zum Beispiel Selbstverständliches als nicht selbstverständlich. Er macht sich Gedanken über Dinge, die sonst Normalsterbliche kalt lassen. Im Film „Umständlich verliebt“ zeigen uns die Protagonisten Jason Bateman und Jennifer Aniston unmissverständlich, was sich alles unter „neurotisch“ verstehen lässt. Aber das sei hier bloss als Randnotiz eingefügt.

Was wohl geht in einem neurotischen Deutschlehrer vor? Im „Witwensommer“ berichtet die Ich-Erzählerin: „Ich nutzte die Pausen und Zwischenstunden zum Lernen, denn ich war keins dieser Mädchen, das man in der Raucherecke oder auf der Parkwiese mit dabeihaben wollte. Das musste auch Kuhnert bemerkt haben und zwar noch im selben Moment, als er uns in seiner ersten Deutschstunde mit seinen schläfrigen grauen Augen der Reihe nach ansah. Wobei, „ansehen“ trifft es wohl kaum; gleichmütig glitt sein Blick unter den halb geschlossenen Lidern über unsere Haarschöpfe, bis er sich an den gewaltigen Brüsten von Inga festharkte, die diese wie stets ermattet vor sich auf ihrem Pult gelagert hatte. Gerade so, als gehörten die Dinger nicht zu ihr, als hätte sie allzu schwer daran zu tragen, genauso schwer wie am Rest der Welt.-“ (Witwensommer, S. 7).

Literaturbeflissene weibeln nun mal um die Gunst von Deutschlehrern. Nur sie sind es , die Literatur nicht nur richtig interpretieren, sondern auch korrekt analysieren können. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich junge und begeisterungsfähige Damen vernachlässigt vorkommen: „Ich war nicht die Einzige, die in den nachfolgenden Jahren verzweifelt um die Gunst dieses knapp mittelgrossen Mannes mit dem verstörenden Schlafzimmerblick warb; ich begann mich zu schminken für ihn, vergeblich; ich versuchte in seinen Stunden geistreich zu sein, umsonst; ich schrieb Aufsätze und Gedichte und Berichte für ihn mit dem Ergebnis, dass er mir riet, doch künftig die Finger von der deutschen Sprache zu lassen. Dafür hätte ich ihn umbringen können, auch dafür, und viele Jahre später habe ich es ja dann fast getan.“ (Witwensommer, ebda).

Die wundervollen Bilder von Helga Zumstein illustrieren diese Deutschlehrer-Geschichte passend, stimmig und leicht ironisierend. Ob Deutschlehrer Kuhnert diese Kurzgeschichte wohl überleben wird? Das Schlussbild jedenfalls ist aus der Boden-Perspektive einer frisch geschaufelten Grube heraus gemalt, in der wir alle mal zu liegen kommen. Und wenn die Ich-Erzählerin sich zum Schluss ein Jagdgewehr umhängt, so als ginge sie zur Jagd, hoffen wir insbrünstig, dass Deutschlehrer Kuhnert nicht in der Schule auf sie wartet…

Dinner hoch drei hiess der literarisch-kulinarische Event, der alle meine fünf Sinne ansprach und mich ganzheitlich literarisch beglückte. Und ja, was uns alle mit der „smarten“ Deutschlehrer-Figur verband, das war das Folgende: Die drei Künstlerinnen bescherten diesem oder jenem auch einige erotisierend wirkende Abendstunden.

Text und Foto: Kurt Schnidrig