Die sanfte Gleichgültigkeit des Peter Stamm

Mit Peter Stamm war einer der meistgelesenen Autoren der Schweiz gestern Nacht zu Gast in Brig (Bild). Das Interesse der hiesigen Literaturfans war denn auch gross. Wer Peter Stamms neuen Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ bereits gelesen hatte, der erhielt nun in der Buchhandlung ZAP vom Autor live und in bester Diktion den Originalton dazu geliefert. Er trug die Passagen aus seiner Doppelgänger-Geschichte sehr gekonnt, routiniert und in chronologischer Reihenfolge vor. Mehr war da allerdings nicht. Mehr war dem Bestseller-Autor schlichtweg nicht zu entlocken. Sehr zurückhaltend, beinahe scheu, ohne jeglichen Blickkontakt mit dem Publikum, spulte er sein Leseprogramm ab. Da kam kaum ein Wort über die Lippen des Schriftstellers, das nicht auch Teil seines Romans gewesen wäre. Als Besucher, als Zuhörer oder gar als Zuschauer fühlte man sich als Fehlbesetzung.  In Anlehnung an den Titel des neuen Romans liesse sich der Abend resümieren als „Die sanfte Gleichgültigkeit des Peter Stamm“.

Die Zuhörer bekamen eine perfekte Lesung in beinah bühnentauglichem Hochdeutsch vorgesetzt, was man nicht genug loben kann. Wenn es ums Vorlesen geht, ist man sich von Schweizer Autoren anderes gewohnt. Viele beherrschen zwar das Schreiben, beim Vortragen und Rezitieren jedoch können sie nicht verbergen, dass des Schweizers erste Fremdsprache das Hochdeutsche ist. Nicht so bei Peter Stamm. Gleich die ersten vorgetragenen Sätze sprudelten in beachtlichem Sprechtempo und in beeindruckend schöner Bühnensprache ins Mikrofon. Die Spannung des Zuhörers beschränkte sich in der Folge darauf, ob der Autor das vorgegebene Sprechtempo würde fehlerfrei durchhalten können. Und ja, das schaffte er sportlich, konzentriert und beinahe emotionslos. Das war „sec“, da kam nicht viel rüber, man fühlte sich kaum berührt, obschon die Liebes- und Doppelgänger-Geschichte beste Vorgaben dazu geliefert hätte.

Die romantische Geschichte hatte Erwartungen geweckt, die der Autor an diesem Abend nicht alle erfüllen konnte. Ein Mensch begegnet sich selbst als seinem jüngeren Ich. Das ist ein literarischer Steilpass für alle, die das Irrealistische, das Fantasievolle, kurz, das Romantische lieben. Tatsächlich befeuert der Autor einen literarischen Trend, die Wiederkehr des Märchenhaften, des Fantastischen und des Irrationalen. Die Oscar-Verleihung kürzlich im fernen Los Angeles bestätigte diesen Trend. Ist nicht auch „Das Flüstern des Wassers“ so eine irrealistisch-fantastische Liebesgeschichte in Stammscher Manier? Nach all den geplatzten Digitalisierungs-Blasen und der damit verbundenen Verunsicherung sehnt sich unsere Welt wieder nach dem Irrationalen und Romantischen. Etwas störend wirkt da bloss, wenn die irrational-romantischen Inhalte nicht auch entsprechend fantasievoll präsentiert werden. So wie das bei Bestseller-Autor Peter Stamm der Fall war.

Müssen wir uns abfinden mit der sanften Gleichgültigkeit unserer Welt? Eine Antwort auf diese Frage gibt uns Autor Peter Stamm mit einer Geschichte. Es ist die Geschichte von Christoph und Lena. Christoph verabredet sich in Stockholm mit der viel jüngeren Lena. Er erzählt ihr, dass er vor zwanzig Jahren eine Frau geliebt habe, die ihr ganz ähnlich gewesen sei, ja, die sogar ganz gleich gewesen sei wie sie. Und weil Lena gleich ist wie die Frau, die Christoph vor zwanzig Jahren geliebt hat, kennt er das Leben von Lena ganz genau. Und Christoph weiss deshalb auch, was alles Lena in ihrem Leben noch zu erwarten hat. Im Roman entkommt niemand unbeschadet diesem Spiel, das die Gegenwart mit der Vergangenheit spielt.

Ob der Humor und das Lachen auch zum Zuge kommen dürfen, wollte ZAP-Chefin Tabea Pfister zum Abschluss der Lesung vom Autor wissen. Bestritten hat der Autor diesen Anspruch nicht, immerhin. Für den einzigen und erlösenden Lacher jedoch sorgte eine aufmerksame Zuhörerin. Sie konfrontierte den Autor mit der Frage, ob denn die Protagonisten Christoph und Magdalena etwas mit Christoph Blocher und Magdalena Blocher zu tun hätten. Das war für uns alle die beste und humorigste Frage des Abends, und sie zauberte selbst dem Bestseller-Autor ein sanftes Lächeln ins Gesicht. Und das war sie denn, die sanfte Gleichgültigkeit des Peter Stamm. 

Text und Foto: Kurt Schnidrig