Gegen den Novemberblues

Die Tage sind kurz geworden, die Abende lang. Wenn das Licht fehlt, ist auch unsere Stimmung auf einem tiefen Level. Viele Menschen fallen im November in ein Seelentief, einige gar in eine Winterdepression. Mit etwas Galgenhumor lässt sich sagen: Jetzt wird der Novemberblues gespielt. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung leiden jetzt unter Symptomen wie Müdigkeit, Energielosigkeit oder Heisshunger auf Süsses. Wegen der geringen Sonneneinstrahlung wird zu wenig des lichtabhängigen Botenstoffes Serotonin produziert. Serotonin wirkt stimmungsaufhellend und wird durch Lebensmittel wie Bananen, Nüsse oder Schokolade angeregt. Essen ist aber nicht immer die beste Idee. Lesen tut es auch, und das viel nachhaltiger.

In den USA verschreiben gewiefte Psychotherapeuten eine Roman-Therapie. Egal, was Sie auch immer im November tun: Jede Aktivität hebt die Stimmung. Ob Sie ein Musical besuchen oder einen Weihnachtsmarkt oder ob Sie sich der Lektüre widmen, jede Aktivität hebt die Stimmung, es bilden sich mehr Glückshormone (Endorphine). Sich mit Lektüre von passenden Romanen zu therapieren, verspricht dabei den grössten Erfolg. In den USA soll die sogenannte „reading cure“ (Lese-Kur) vor allem in Kliniken und Kinderheimen, aber auch in Gefängnissen grossen Anklang finden.  Der Novemberblues tritt ja in verschiedensten Cover-Versionen auf. Gegen einige Novemberblues-Varianten habe ich eine Rezeptur bereit gemacht.

Rezept: Ein Psychothriller. In der Psychologie spricht man ja auch vom „Abwärtsvergleich“. Das bedeutet: Wenn man nicht so gut drauf ist, eventuell sogar unter dem Novemberblues leidet , dann hilft es, davon zu lesen, dass es anderen noch schlechter geht. Dies ist der Fall im neuen Psychothriller von Arne Dahl. In diesem Thriller geht es allen schlecht, sogar den Ermittlern. Wenn es den Polizisten Sam Berger und Molly Blum nicht gelingt, den Mörder zu finden, werden sie gleich selber des Verbrechens bezichtigt. Zum Schluss wissen die Ermittler nicht einmal mehr, ob sie einander vertrauen dürfen.

Rezept: Flucht in eine Fantasiewelt. „Immer ist alles schön“, so heisst der Roman-Erstling der Schweizer Autorin Julia Weber. Haben Sie sich auch schon mal gefragt: Warum, verdammt nochmal, muss ich immer alles schön finden? Eben. Besonders jetzt, wenn überall der Novemberblues gespielt wird. Die Mutter in dieser Geschichte sagt, das Leben sei eine Wucht, denn das Leben soll ihre Sehnsüchte erfüllen. Das Tanzen, das sie liebt, ist zum Tanz an der Stange für Männer geworden. Es ist nicht einfach, so ein Leben zu leben, sagt die Mutter. Die Kinder versuchen sich vor diesem Leben zu schützen. Je mehr die Aussenwelt in ihre eigene Welt eindringt, desto mehr ziehen sich die Kinder in eine eigene Fantasiewelt zurück. Kommt die gescheiterte Lebensfreude zurück? Nein, es braucht nicht immer alles schön zu sein.

Eine passende Rezeptur gegen Ihren ganz persönlichen Novemberblues finden Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, ganz gewiss irgendwo zwischen Buchdeckeln.

Text und Foto: Kurt Schnidrig