Literaturpreis für den Autor der Zeitlosigkeit

Viele Zeitgenossen wissen heute nicht mehr, was die grossen Katastrophen in der Geschichte ausgelöst haben. Dabei wirken diese historischen Tragödien bis heute nach. „Diese Unsicherheit in der Geschichte macht es wert, dass wir schreiben“, sagte Preisträger Stefan Hertmans, nachdem er den Spycher Literaturpreis Leuk entgegengenommen hatte. Was in der Walliser Kultur- und Literaturszene Rang und Namen hat, erwies dem Spycher Literaturpreisträger die Referenz (Bild).

Er wolle sich nicht in einen Elfenbeinturm einschliessen, versprach Stefan Hertmans, womit er wohl auch seinen verdienten fünfjährigen Aufenthalt in Leuk ansprach. Zum Nachdenken allerdings sei ihm das historische Städtchen herzlich willkommen. Da könne er zur Ruhe kommen, nachdenken und schreiben.

Hertmans als europäischen Schriftsteller gewürdigt hat Laudator und Literaturkritiker Lothar Müller. Er pries insbesondere Hertmans grosse Einbildungskraft. Sie sei auch vonnöten, wenn es darum gehe, sich in Pogrome des 11. Jahrhunderts einzufühlen. Tausend Jahre her sind diese Ereignisse bereits, und doch scheint es, als hätte sich kaum etwas verändert. Sein Buch „Die Fremde“ ist so aktuell, dass es schon fast Angst macht, weil Intoleranz und religiöser Fanatismus auch heute wieder Schrecken verbreiten.

Er sei kein Verfasser von historischen Romanen im klassischen Sinn, wehrt sich Hertmans. In seinen Romanen verarbeitet er ewiggültige Themen wie die Suche nach Identität oder das Schicksal der Vertriebenen und Flüchtenden. Dabei versteht es der Schriftsteller, die konstant aktuellen Themen auf ihre historischen Wurzeln zurückzuführen. Allerdings ist der Leser und die Leserin gefordert, denn auf dem Silbertablett serviert Schriftsteller Hertmans seine historisch-aktuellen Geschichten nicht. Der Erzähler verzichtet auf explizite Vergleiche zwischen damals und heute.

Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten freute sich an der Matinée über die Erfolgsgeschichte des Spycher Literaturpreises und seiner Träger. Von den Kreuzrittern bis zu den Islamisten entfalte das Werk des Preisträgers ein weites Spektrum von früher bis in unsere Zeit. Sie wünschte sich, dass nun auch die 1500-jährige Geschichte des Städtchens Leuk den Geehrten beeinflussen und inspirieren möge.

Arnold Steiner, Präsident der Stiftung Schloss Leuk, illustrierte die wortgewaltige Vernissage mit einer schönen Metapher. Diente der alte Walliser Spycher unseren Vorfahren als Aufbewahrungsort für alles Lebensnotwendige, diene der Spycher Literatur Leuk heute als ein Aufbewahrungsort für Sätze und Wörter. Stefan Hertmans möge den Spycher füllen mit viel Inspirierendem und Nährendem aus dem Bereich der Literatur. So wie die Mäuseplatten bei alten Spychern den Schutz vor Nagern aller Art gewährten, so solle die Zeit dem schriftstellerischen Schaffen keine Grenzen setzen.

Persönlich blicke ich auf eine wunderschöne sonntägliche Matinée im Leuker Schloss zurück. Es war bereichernd und befruchtend, was die Literaturschaffenden anlässlich der Verleihung des Spycher Literaturpreises beitrugen. Gelungen auch das Rahmenprogramm mit der vielversprechenden Sängerin Sandrine Meichtry, die mit ihren einfühlsamen Songs und ihrer dunkel-geheimnisvollen Stimme dafür sorgte, dass die Matinée nicht allzu wortlastig daherkam.

Text und Foto: Kurt Schnidrig