Gespenster der Vergangenheit

Viele unserer Väter waren im Kriegsjahr 1943 auch über Weihnachten an der Front, auch mein Vater. Er vertraute mir Jahre später jenes Geschenk an, das jeder Schweizer Soldat am Weihnachtsabend 1943 erhalten hatte. Ein Feuerzeug. Dunkle Erinnerungen waren für ihn verknüpft mit diesem Feuerzeug. Die Schweiz kam im Krieg mit einem blauen Auge knapp davon. Die Verlierer, die Deutschen, werden bis heute von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesucht. „Nie mehr Krieg!“ waren sich alle Staatsführer damals einig. Heute – 2017 – bereiten sich Menschen in Amerika und Nordkorea auf einen Atomkrieg vor. Nichts gelernt.

Hinter den Türen warten die Gespenster. Unter diesem Titel schildert der Autor Florian Huber in einem erschütternden Buch, wie der Krieg bis heute viele deutsche Familien traumatisiert. Noch sind viele am Leben, die auch heute noch nachts aus Albträumen aufschrecken und sich mitten im Krieg wähnen. Es ist die Kriegsgeneration, die mit den Gespenstern der Vergangenheit zu kämpfen hat, immer noch. Die Gespenster der Vergangenheit, das sind die Ängste der aus Krieg und Gefangenschaft heimkehrenden Männer, ihre Sehnsucht nach Normalität und nach einer intakten Familie.

Die Gespenster der Vergangenheit lauern hinter jeder Tür, sie sabotieren alle Versuche, zu vergessen und noch einmal neu anzufangen, sie schüren die Enttäuschung, wenn dies nicht gelingt. Und mittendrin in diesen Nachkriegsfamilien die Kinder, welche die Schuldgefühle der Eltern mitbekommen. Die deutsche Nachkriegsgeneration will schweigen. Niemand will öffentlich die verbrecherische Vergangenheit wieder auferstehen lassen. Florian Huber spricht in seinem Buch von einem „Schweigepakt“, den insbesondere die Opfer- und Täterfamilien eingegangen sind. Dazu gehören etwa die Nachkommen von Nazi-Grössen, die von ihren Eltern zum Schweigen verdammt sind.

Wer schweigen muss, der kann nicht verarbeiten. Wer schweigen muss, den holen die Gespenster der Vergangenheit ein. Was der Krieg in den Seelen der Menschen angerichtet hat, ist in den vielen Sachbüchern nachzulesen, die der deutschen Vergangenheitsbewältigung gewidmet sind.

Im Buch „Das falsche Leben“ setzte sich die Autorin Ute Scheubs mit ihrem Nazi-Vater auseinander. Eine andere Autorin, Alexandra Senfft, erzählt in ihrem Buch ihre eigene Geschichte. Sie war die Enkelin des Hitler-Gesandten Hanns Ludin, der 1945 in der Slowakei hingerichtet worden war. Ihre Mutter war an diesem schweren Erbe zerbrochen. Das Buch heisst „Schweigen tut weh“. In ihrem neuen Buch mit dem Titel „Der lange Schatten der Täter“ befasst sich Alexandra Senfft mit den Biografien aus Nazi-Familien.

Die Literatur der Nachkriegszeit hat mit der Aufarbeitung der Kriegszeit eine eminent wichtige Aufgabe übernommen. Die Autorinnen und Autoren schreiben an gegen das Verdrängen, das Verschweigen und das Vergessen. Nur so kann die Heilung der vielen verwundeten Seelen glücken.

Schade nur, dass Staatsleute wie Donald Trump und Kim Jong-un diese erschütternden literarischen Hilfeschreie nicht lesen. Ihre Drohgebärden und ihr Kriegsgebrüll ist ein Affront gegen diese Generation, die immer noch die Traumata des letzten Krieges zu verarbeiten hat.

Text und Foto: Kurt Schnidrig

Literatur: Florian Huber: Hinter den Türen warten Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit. Berlin Verlag, Berlin 2017. 352 Seiten.