Korrekt und lebendig schreiben

Der neue Duden ist da. Gemäss den Herausgebern soll die 27. Auflage die umfangreichste und aktuellste sein, die es je gab. 145’000 Stichwörter fanden Aufnahme im neusten Standardwerk der deutschen Rechtschreibung. Ob es den vielen Anwendern jedoch die Sicherheit zurückgibt, die mit der Neuregelung der Rechtschreibung verloren gegangen ist, muss bezweifelt werden. Immerhin zeigte sich die Duden-Redaktion und der Dudenverlag in Mannheim, Wien und Zürich offen für die sehr eigene Schweizer Umgangssprache.

Sollen wir korrekt schreiben oder einfach so, wie einem der Schnabel gewachsen ist? Diesem Dilemma sieht sich die Duden-Redaktion bei jeder Neuauflage aufs Neue gegenübergestellt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Redaktoren keine klare Linie haben. Gerne möchten sie es allen recht machen, insbesondere all jenen, die Mühe haben mit dem Schreiben und insbesondere mit der Orthographie. Doch diese Kuschelpädagogik schafft mehr Verunsicherung als dass sie die Rechtschreibung erleichtern würde. Die vielen Varianten suggerieren vor allem eines: Es ist egal, wie Du schreibst. Das ist es aber nicht, sowohl Lernende als auch Berufstätige streben nach klaren Vorgaben. Zudem öffnet die 27. Duden-Auflage der Umgangssprache – die selbstredend für den mündlichen Gebrauch gedacht ist – Tür und Tor.

Die Besonderheiten des Schweizerhochdeutschen werden als „Helvetismen“ bezeichnet. Im helvetischen Hochdeutsch wird ein Teil des Schweizer Vokabulars übernommen und eingedeutscht. Genau genommen gibt es drei Versionen: Schweizerdeutsch, helvetisches Hochdeutsch und Standarddeutsch, wie es teilweise in (Nord-) Deutschland gesprochen wird. Beispiel: CH-Deutsch „Necessaire“ oder „Nessessär“ heisst auf Hochdeutsch „Kulturbeutel“. Solche Wörter aus dem helvetischen Hochdeutsch sorgen in Deutschland für Verwirrung und manchmal auch für ein spöttisches Lächeln. Umgekehrt übrigens auch.

Weitere Beispiele für verwirrende Unterschiede: Der Bahnsteig heisst in der Schweiz Perron, der Barsch heisst Egli, anrufen heisst anläuten, die Bedienung heisst Service, Blonde Strähnchen heissen Mèches, der Dachstock heisst Estrich, einkaufen heisst lädelen, das Eis ist ein Glacé, die Fahrkarte ist ein Billet, der Gehsteig ist ein Trottoir, eine Getränkekiste ist ein Harrass, grillen heisst bei uns grillieren, der Hausmeister ist ein Abwart, die Hausschuhe heissen Finken, der Hubschrauber ist ein Helikopter, die Karotte ist ein Rübli, das Motorrad ein Töff, eine Pampelmuse ist bei uns eine Grapefruit, rodeln heisst bei uns schlitteln, Rote Beete sind Randen, ein Schaffner ist ein Kondukteur, der Schreibtisch ist ein Pult, ein Tacker ist ein Bostitch, eine Trauerfeier ist eine Abdankung, umziehen heisst bei uns zügeln… Sprechen die Menschen in Deutschland eigentlich eine Fremdsprache? Für Schweizerinnen und Schweizer ist Standarddeutsch tatsächlich die erste Fremdsprache.

Alle oben angeführten Beispiele sind als „Helvetismen“ gemäss Duden korrekt und zugelassen. Man kann das gut finden oder nicht. Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt war ein eifriger Verfechter derartiger Helvetismen. Nicht wenige Schweizer sehen dieses Schweizerhochdeutsch als Teil unserer Kultur. Gut, die deutsche Sprache lebt und sie verändert sich. Muss man deshalb gleich jedes Modewort als „korrektes Wort“ in den Duden aufnehmen?

Vorbehalte habe ich bei sogenannten „Anglizismen“. Viele Wörter werden einfach aus dem Amerikanischen übernommen, ohne dass sich jemand die Mühe machen würde, ein adäquates deutsches Wort dafür zu suchen. Wir sprechen von einem „One-Night-Stand“, aber wer könnte diesen Ausdruck auch nur annähernd korrekt in deutscher Sprache wiedergeben?

Diskutabel sind auch die Slang-Wörter, die es so zum Beispiel im Raum Zürich gibt. Das Slang-Wort „foodä“ heisst allgemein „essen“, ein „Huscheli“ ist ein Mauerblümchen, ein „Lungebröötli“ ist eine Zigarette, „muggä“ heisst stehlen, „scheikä“ heisst abtanzen, „än mega Schuss“ ist eine attraktive Frau… Soll das alles nun in die nächste Auflage des Duden? Oder sollten wir nicht irgendwo eine Grenze ziehen zwischen gesprochener Sprache und geschriebener Sprache?

An einigen Schweizer Hochschulen gelten schweizerische Wörter als minderwertig oder unwissenschaftlich. Der Schweizer Schülerduden verzichtet konsequent auf Helvetismen. Das Institut für Theaterwissenschaften der Uni Bern hält in den Richtlinien zum Verfassen einer schriftlichen Arbeit einfach und lapidar fest: „Helvetismen sind durch hochdeutsche Formulierungen zu ersetzen“. Das ist konsequent und klar definiert. Trotzdem ist es wissenschaftlich nicht ganz korrekt, denn derartige Vorgaben gehen von der Vorstellung aus, dass es ein einziges richtiges Hochdeutsch gebe, ein Hochdeutsch nämlich, wie es in Norddeutschland gesprochen werde. Bei vielen Schweizer Linguisten steht diese Teutonisierung der Sprache nicht sehr hoch im Kurs. Einige sprechen gar von sprachlicher Diskriminierung.

Ein Vorschlag zur Entschärfung dieses Problems könnte etwa lauten: Regionale sprachliche Varianten können zugelassen werden, solange sie nicht zu Missverständnissen führen und wenn sie zumindest in der gesamten Deutschschweiz in Gebrauch sind.

Foto: Kurt Schnidrig