Das Erzählen verlernt

 

„Wir haben das Erzählen verlernt, weil wir nichts mehr sehen und hören. Alle haben Stöpsel in den Ohren und starren auf ihr iPhone.“ Das Zitat stammt von Pedro Lenz, Autor von Mundartromanen wie „Der Goalie bin ig“ und „Die schöni Fanny“ (NZZ, 16.07.2017).

Und James Heim, Technologe aus dem Silicon Valley, spricht Klartext: Die Schattenseiten der Digitalisierung würden wir völlig ausblenden und unsere Freiheit aufs Spiel setzen, schreibt er in seinem neuen Buch „Voluntary Enslavement“, zu deutsch „Freiwillige technologische Versklavung“.

Der gebürtige Zürcher James Heim (49) hat bis vor kurzem in San Francisco gelebt und dort für einen Schweizer Technologie-Anbieter gearbeitet. Dabei hat er einen profunden Einblick erhalten in die Technologieszene des Silicon Valleys. Er ist mitverantwortlich dafür, dass Google nach Zürich kam. In seinem neuen Buch geht er der Frage nach, inwiefern Technologie unsere Freiheit einschränkt. Und der Technologe kommt zu einer überraschenden Selbstanklage.

Es sei an der Zeit, das Tempo der Digitalisierung zu drosseln, schreibt Heim in seinem Buch. Die technologische Entwicklung würde unser Leben je länger je effizienter und funktionaler gestalten. Aber was bedeutet unser Menschsein wirklich? fragt er sich. Es bedeutet auch: sich der Fantasie hingeben, sich der Kultur verschreiben, träumen, ein spirituelles Leben führen. Gerade diese so menschlichen Bedürfnisse hätten jedoch in einer rein technologischen Welt keinen Platz.

Wenn wir die Aussagen des Schriftstellers Pedro Lenz und des Technologen James Heim zusammenfassen, dann lässt sich nur eine mögliche Schlussfolgerung daraus ziehen: Wir müssen die verhängnisvolle Vermischung von Wissenschaft und Wirtschaft trennen. Immer mehr hat die Wirtschaft in den letzten Jahren die Wissenschaft vereinnahmt und dominiert.

Die Wirtschaft hat wesentliche Bedürfnisse des Menschseins zurückgebunden. Dazu gehört auch unser Bedürfnis nach Spiritualität. Das Wissen darüber, dass wir alle Teilchen sind in einem grossen Räderwerk. Besonders in unserer westlichen Welt herrscht eine unheilvolle spirituelle Leere. Diese Leere füllen wir mit dem blinden Glauben an die Technologie. Alles, was wir tun, hat Folgen für die, welche nach uns kommen. Viele von uns sind auf dem technologischen Egotrip.

Wie kann man sich selber (technologisch) entschleunigen? In seinem Buch wartet James Heim mit einem bedenkenswerten Ratschlag auf: Weniger iPhone, weniger soziale Netzwerke. Dafür lieber wieder mehr direkte Kontakte mit Menschen haben. Die Stöpsel aus den Ohren nehmen und weniger auf das iPhone starren. Wieder sehen und hören lernen. Den Mitmenschen zuhören, was sie zu erzählen haben. Das Erzählen neu entdecken und wieder neu lernen.

Literatur: James Heim: Voluntary Enslavement. Selbstverlag. www.VoluntaryEnslavement.com

Zum Bild: Alle haben Stöpsel in den Ohren und starren auf ihr iPhone. Foto: Schnidrig.