Gschichtä mit Müsig

Nach einem heissen Sommertag trete ich in den kühlen Raum der barocken Kirche von Blatten ein. Ein Konzert steht auf dem Programm, das Überraschendes verspricht. Wie hört sich die Rock-Version von Bachs d-Moll Toccata an? Wie tönt das Wiedersehen mit den grossen Musikern Brian Adams und Eric Clapton? Und wenn das Ganze dann noch abgemischt wird mit Klezmer? Die Antworten sollten „the bellbottoms“ liefern. Die Band hat auch eine „singer songwriter“ in ihren Reihen, eine Sängerin also, die selber auch Texte schreibt. Marion Schnidrig hat manchen geradezu philosophischen Songtext geschrieben. „Ich zellu va dier“ ist einer dieser Texte. Während des Konzerts habe ich mir die letzten Zeilen notiert:

Warum isch d Wält so chleini und ich träffu dich hiä / hesch versprochu dü gegesch wäg / hesch di appa girrt / Warum isch d Wält so chleini und dü bisch immer no hiä / ich weiss nid annersch, cha nid annersch, ich zellu /    va dier – va diär. Ha mi scho längscht verzellt, zellu nur va diär / zellu va diär und miär, und di Ziit steit still.

Die Band „the bellbottoms“ mit Marion Schnidrig (Gesang, Gitarre), Sarah Brunner (Tasteninstrumente), Joachim Elsig (Gitarre, Gesang, Trompete, Mundharmonika), Lukas Brunner (Violine, Bassgitarre, Mandoline, Gesang) und David Elsig (Drums) hat sich der Rock-, Folk-, Blues- und Rock’n’Roll-Musik verschrieben.

Die Toccata und Fuge in d-Moll für Orgel gehören zu den berühmtesten Werken von Johann Sebastian Bach. In der Rock-Version der „bellbottoms“ wirkte das Stück ungewohnt rhythmisch und eingängig gegenüber der einstimmigen Melodieführung, die man als Zuhörer sonst überall vorgesetzt bekommt. Das Werk war ursprünglich sogar für Violine solo geplant gewesen. Umso überraschender kam deshalb die Band-Version bei den Zuhörerinnen und Zuhörern in der Blattner Kapelle rüber.

Wer schöne Literatur gern mit mitreissender Musik kombiniert, der wurde in der Blattner Kapelle geradezu verwöhnt. Spätestens bei der Klezmer-Musik kam Bewegung ins Publikum. Ursprünglich als jüdische Hochzeitsmusik konzipiert, beherrscht der Klezmer heute viele Varianten von „Crossover“ und Stilmix, die aber immer noch vom archaischen Reiz der jüdischen Melodien und Rhythmen leben, von der ansteckenden Lebensfreude der Klezmorim und ihrer modernen Nachfahren, zu denen sich nun auch die „bellbottoms“ zählen dürfen.

Ganz hin und weg war ich dann aber, als die „bellbottoms“ mich wieder goldene 17 Jahr jung werden liessen. Damals – ich war ein aufmüpfiges Studentchen in der Latein-Abteilung des Kollegiums Brig – schwappte die Hippie-Flower-Power-Welle mit aller Macht aus den USA zu uns in die Provinz rüber. „Summer of 69“- da werden Bilder und Träume wieder lebendig.

Noch während des Konzerts habe ich mir die Story des Songs „Summer of 69“ in einer eigenen Übersetzung aufgeschrieben:

Ich habe damals mit 17 meine erste Gitarre bekommen. Habe sie in einem Billigladen gekauft. Habe sie gespielt bis meine Finger bluteten. Es war im Sommer ’69. Ich und ein paar Typen aus der Schule hatten eine Band und wir übten viel. Doch Jimmy hörte auf und Jody hat geheiratet. Ich hätte wissen sollen, dass wir so keine Band werden können.

Wenn ich jetzt zurück blicke, schien der Sommer ewig zu dauern. Und wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann wäre ich gleich dort geblieben, denn das waren die besten Tage meines Lebens. Und dann habe ich dich getroffen. Wir standen auf der Terrasse deiner Mutter und du sagtest mir, du würdest ewig auf mich warten. Du hieltst meine Hand und ich wusste: Jetzt oder nie! Das waren die besten Tage meines Lebens!

Jetzt haben sich die Zeiten geändert. Doch manchmal, wenn ich auf meiner alten Gitarre spiele, denke ich an dich. Und ich bin zurück im Sommer ’69. Und ich frage mich, was schief gelaufen ist. Das waren die besten Tage meines Lebens. Zurück im Sommer ’69. Nur ich und mein Darling in ’69. Es war der Sommer ’69.

Nach einer Stunde ist das Konzert der „bellbottoms“ aus. Mein Kopf ist voller wehmütiger Erinnerungen und mein Herz geht über. Es ist kaum zu glauben, wie viele bewegende Geschichten und wie viel wunderbare Literatur die „bellbottoms“ da in Musik verpackt haben. Und ja, beim nächsten Konzert bin ich wieder dabei.

Zum Bild: „the bellbottoms“ in concert. Blatten ob Naters, 13. Juli 2017. Foto: Kurt Schnidrig.