Rückgang der deutschen Sprache

Es gibt im Wallis faszinierende Persönlichkeiten, die mit überraschenden Publikationen aufwarten. Zu ihnen gehört der frühere Vizekanzler des Staates Wallis, Bernard Reist (Bild). Er ist Ko-Autor eines historischen Romans, der in der Edition Monographic in Siders erschienen ist. Der Roman trägt den Titel „Die drei Leben des Pastors Blocher“. Der Pastor Eduard Blocher ist eine Schlüsselfigur zum Verständnis der jüngeren Schweizer und Walliser Geschichte. Bevor er ins Wallis kam, leistete Pastor Blocher einen missionarischen Einsatz in Algerien. Dann, um 1898, übernahm er die reformierte Pfarrei in Sitten, wo er sieben Jahre lang wirkte. Pastor Blocher wird zu einem verbissenen Verfechter der Walliser Mundart und der deutschen Schriftsprache.

1904 ist Pastor Blocher der Mitgründer des Deutschschweizerischen Sprachvereins. Er wollte Liebe und Verständnis wecken für die deutsche Muttersprache. Pastor Blocher und sein Sprachverein hatten sich zum Ziel gesetzt, gegen die Verwelschung des Wallis anzukämpfen. Wie auch in der übrigen Schweiz, hätte für ihn das deutsche Volkstum im Wallis ein Übergewicht haben müssen.

Den Rückgang der deutschen Sprache bedauert Pastor Blocher bereits um 1800. Damals wurde zwar noch Rhone-abwärts bis zum Pont-de-la-Morge, deutsch Mors-Brücke, unterhalb von Sitten Deutsch gesprochen. Die Schüler der Jesuitenschule in Sitten durften nur Deutsch oder Lateinisch reden. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts bekam das Französische in der Kantons-Hauptstadt starken Auftrieb.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts redeten nur etwa 30 Prozent der Sittener noch Dialekt, die Ärmsten der Armen sozusagen: „… die Bettler, die alten Originale, die Kretinen und Kropfträger, deren Anblick schon Goethe bei seiner Durchreise durch Sitten gänzlich den Humor verderbte“, schreibt Eduard Blocher. („Die drei Leben des Pastors Blocher“, Seite 134).

Wer beruflich vorwärts kommen wollte, der wandte sich von der deutschen Sprache ab. Der Walliser müsse sich auf Französisch ausdrücken, sobald er ausserhalb des Oberwallis zu tun habe, hält Blocher mit Bedauern weiter fest.

Pastor Blocher macht insbesondere die Ankunft der Eisenbahn 1904 für den Rückgang der deutschen Sprache verantwortlich: „Jeder Zug, der das Tal hinauffährt, transportiert die französische Kultur, die das deutsche Gebiet erobert“, schreibt er (S. 137). Das Eisenbahnermilieu bevorzuge systematisch die französische Sprache, klagt Blocher. So reden die Eisenbahner in Brig von der Gardebarrière, wenn sie die Bahnschranke meinen, von der Gaare statt dem Bahnhof und vom Schefdegaare statt vom Bahnhofvorstand, und sie reden vom Marchandiszug statt vom Güterzug. Die Angestellten der SBB waren von der Kreisdirektion in Lausanne abhängig, diese diktierte die Spielregeln für den Gebrauch der Sprache.

Es scheint, dass im frühen 19. Jahrhundert die sogenannte Verwelschung im Oberwallis weiter fortgeschritten war, als dies heute noch der Fall ist. Pastor Blocher bedauerte damals, dass viele Leihwörter unseren Wortschatz beeinflussen. So soll man damals im Oberwallis zum Beispiel folgende Ausdrücke benutzt haben (S. 138): Gongseilledetat (statt Staatsrat), Gaffe (statt Kaffeehaus), Brasserie (statt Brauerei), Vigneron (statt Winzer), Porte (für Türe), Tablieh (für Schürze). Es isch mir öppis g’aariviert, hört Pastor Blocher mit Schrecken (il m’est arrivé quelque chose).

Umgekehrt würden die Romands recht wenig aus der deutschen Sprache entlehnen, hält der Sprachbeobachter Blocher fest (S. 139): In Sitten nennt man die Aktentasche la mappe (deutsch: die Mappe) statt la Serviette, oder man redet von la marque (die Briefmarke) statt le Timbre. Er hört auch das Verb poutzer (putzen) für nettoyer und das Nomen Beuglise (Bügeleisen) statt fer à repasser. Er hört auch französische Ausdrücke, die eindeutig als deutsch eingestuft werden müssen: Voulez-vous attendre dessus? (Wollen Sie darauf warten?) Oder: Demandez après Madame (fragen Sie nach der Dame).

Den Sprachverein, dessen Mitgründer Pastor Blocher war, gibt es heute noch. Allerdings unter dem neuen Namen „Schweizerischer Verein für die deutsche Sprache“. Auch die Zielsetzung des Vereins ist gemässigter. Der Verein will Mundart und Schriftsprache im Gleichgewicht pflegen. Der Verein will auch für ein gutes sprachpolitisches Klima sorgen zwischen den Deutschsprachigen und den Frankophonen.

Was Pastor Blocher im sprachpolitischen Leben des Wallis um 1900 beobachtet und angestossen hat, ist bis heute ein Anliegen insbesondere der deutschsprachigen Minderheit geblieben. Die Probleme östlich und westlich des Röschtigrabens sind nicht kleiner geworden.

Literaturangabe: Artur Kilian Vogel & Bernard Reist: Die drei Leben des Pastors Blocher. Roman. Edition Monographic, Sierre 2017. 460 Seiten.

Foto: www.monographic.ch